Rostock - Wind, Regen und am Abend kühle Temperaturen um 16 Grad machten es den meisten Athleten am zweiten Tag der deutschen Jugendmeisterschaften in Rostock nicht leicht. Dort, wo sich die besten Jugend-Athleten Deutschlands im Kampf um Gold, Silber und Bronze drei Tage lang messen, demonstrierte Vivian Groppe von der MT Melsungen vor den Augen der Bundestrainer, dass sie zu den schnellsten Jugendlichen in Deutschland gehört. Die 16-Jährige ließ sich von den Wetterkapriolen nicht beeindrucken und holte sich im 200m-Finale der U18 die Goldmedaille.

Für ihren Trainingspartner Luis Andre, der Ende Juni ebenfalls noch die beiden Medaillen im Kugelstoßen und Diskuswerfen im Visier hatte, platzten nach einer Corona-Schutzimpfung drei Wochen vor diesen Meisterschaften alle Träume, weil sein Körper streikte.

50 Meter vor dem Ziel lag die große Favoritin Holly Okuku immer noch hinter Vivian Groppe zurück. Im Ziel betrug ihr Rückstand fast 0,3 Sekunden.Über 200 Meter stand von Beginn an die Frage im Raum: Wer sichert sich hinter der Ausnahmesprinterin Holly Okuku (Baunatal) die Silbermedaille. Okuku, die auf dieser Strecke so eindrucksvoll glänzte, dass es eigentlich keine ernsthafte Konkurrenz für sie geben konnte, lief bei der Junioren-Gala in Mannheim mit 23,91 sogar schneller als die besten deutschen U20-Sprinterinnen. Sie wurde von den Bundestrainern Thomas Kremer und Alexander Seeger bereits mit der inzwischen 24-jährigen Gina Lückenkemper verglichen, die 2017 als erste Deutsche seit 26 Jahren über 100 Meter unter elf Sekunden blieb und als Schlussläuferin der deutschen Sprintstaffel bei der U20-EM in Tallinn die Silbermedaille sicherte. Wer also sollte das große Talent bezwingen, das ursprünglich in Rostock für die U20 gemeldet wurde, um sich mit einer Zeit unter 23,90 Sekunden für die U20-WM in Nairobi zu qualifizieren. Nachdem aber diese Meisterschaft wegen der Corona-Pandemie ohne Deutschland stattfinden wird, wurde Holly Okuku wieder für die U18 umgemeldet.

Im ersten Halbfinale, bei einem Rückenwind von 2,3 m/sec, ließ die 16-Jährige aus Baunatal mit 24,06 Sekunden keinen Zweifel an ihrer Favoritenrolle aufkommen. Auf Rang zwei lief Lynn Gramse (Dormagen) mit 24,48 Sekunden vor Luna Nowak (Magdeburg, 24,61) und Nele Jaworski (Wolfsburg, 24,63) ins Ziel. Wegen des zu starken Rückenwindes, der von hinten "schob", erreichten diese vier Sprinterinnen das Finale der besten Acht.

Im zweiten Halbfinale, das bei einem Gegenwind von 0,5 m/sek ausgetragen wurde, demonstrierte Vivian Groppe ihre Klasse. Bereits im Vorjahr hatte sie als 15-Jährige mit 24,51 Sekunden die Bronzemedaille in Heilbronn gewonnen. Mit einem guten Start und einer starken Beschleunigung nahm sie, souverän in Führung  Bei der Siegerehrung für das 200m-Finale wurde Vivian Groppe als Deutsche Meisterin mit der Goldmedaille ausgezeichnet.  liegend, Mitte der Zielgeraden das Tempo heraus und lief nach 24,46 Sekunden locker vor Lorina Hertlein (Mannheim, 24,87) und Joelina Miltschus (Leipzig, 24,90) über die Ziellinie. Annika Just (Passau, 24,47) und Cora Kunze (Dresden, 24,52) liefen sich bei leichtem Rückenwind mit 24,47 Sekunden ebenfalls in das 200m-Finale. Im vierten und letzten Halbfinale wehte der Wind den Läuferinnen wieder ins Gesicht. Deshalb qualifizierte sich – wie im zweiten Halbfinale - nur die Siegerin Mariam Soumah (Leipzig, 24,70) für das Finale.

Kurz vor 20 Uhr wurden die acht Endlaufteilnehmerinnn vom Callroom in das Stadion geführt, um die deutsche U18-Meisterin über 200m zu ermitteln. Nass-kalter Wind und Temperaturen um 16 Grad ließen keine großartigen Zeiten mehr erwarten.

Vor der Abfahrt nach Rostock sagte Vivian: „Ich hoffe, dass ich in Rostock auf dem Treppchen stehen werde, denn die Konkurrenz ist sehr stark“. Ihr Trainer erinnerte sie vor diesem Endlauf an den Abschlusstest von Wetzlar, wo Vivian nach zwei erstklassigen 100m-Rennen (11,79) mit 24,16 Sekunden ihre ausgezeichnete 200m-Form unter Beweis gestellt hatte. „Du bist in der Lage, die halbe Stadionrunde unter 24 Sekunden zurückzulegen und kannst heute sogar mit Holly um die Goldmedaille laufen“, motivierte Alwin Wagner seinen Schützling.

Ruhig, aber wie eine Feder gespannt, kauerte die Melsunger Sprinthoffnung beim 200m-Finale in ihrem Startblock und wartete konzentriert wie Annika Just (Bahn 4), Holly Okuku (Bahn 5) und die weitere Konkurrenz auf den Startschuss. Für Vivian, die eine gute Kurvenläuferin ist, hieß es, einen guten Start hinzulegen und gut in die Beschleunigungsphase zu kommen. Vivian erwischte einen glänzenden Start, beeindruckte mit ihrer gewonnenen Explosivkraft und kam mit einem schnellen Antritt gut ins Rennen. Im Scheitelpunkt der Kurve vergrößerte sie ihren Vorsprung vor Okuku und Just, obwohl diese in der Kurve hätten aufholen müssen. Und so kam Vivian als Erste auf die Zielgerade und lag auch noch 50 Meter vor dem Ziel in Führung. Sie hielt dem Angriff des Ausnahmetalents, wie  Luis Andre und Vivian Groppe vor den deutschen Meisterschaften im Stadion von Rostock.Holly schon mehrfach in der Presse bezeichnet wurde, stand. Und 20 Meter vor dem Ziel stand fest, dass man sie nicht mehr einholen konnte, denn sie fegte mit ihrem großen Stehvermögen und einer hohen Endgeschwindigkeit über die Bahn, so dass ihr Vorsprung noch größer wurde. Auf der Ziellinie riss sie ihre Arme nach oben, denn in diesem Augenblick wurde ihr bewusst: „Ich habe das Unmögliche möglich gemacht“. Mit 24,12 Sekunden sicherte sich die Jugendliche aus Beiseförth nach Silber in Bremen (2019) und Bronze 2020 in Heilbronn die Goldmedaille und hatte damit einen kompletten Medaillensatz von den deutschen Meisterschaften.

Holly Okuku belegte mit 24,40 Sekunden den zweiten Platz vor Annika Just (24,47) und Cora Kunze (24,54). Vivian war die einzige Athletin, die sich im Finale zu steigern wusste. Während Okuku 0,34 Sekunden langsamer war als im Halbfinale und auch Just ihre Zeit nur bestätigen konnte, verbesserte sich das Melsunger Aushängeschild im Finale um 0,34 Sekunden. Schade, dass es beim Endlauf so kühl war, das kostete den Athletinnen mindestens 0.2 bis 0,4 Sekunden. Auch Bundestrainer Frank Kremer war der Meinung, dass Vivian bereits eine Zeit unter der Schallmauer von 24 Sekunden laufen kann und meinte, dass er im Jahr 2022 mit ihr für die U20-WM in der kolumbianischen Millionenstadt Cali planen werde. Dafür müsste sie im nächsten Jahr eine Zeit unter 23,90 Sekunden laufen oder sich als Staffelmitglied für die 4x100m qualifizieren.

Alwin Wagner hatte Freudentränen in seinen Augen, als Vivian bei der Siegerehrung auf dem obersten Treppchen stand und ihre Goldmedaille der Presse und den Fotografen präsentierte. Auf die Frage, welche besondere Eigenschaften Vivian besitzt, meinte der erfahrene Trainer: Vivian konnte ihre guten Trainingsergebnisse mit ihrem enormen Leistungswillen auf der Rostocker Bahn umsetzen. Sie ist nicht nur ehrgeizig und gibt immer 100 Prozent, sie ist auch eine Kämpferin, die jede Aufgabe hoch motiviert angeht, sowohl im Sport als auch in der Schule, wo sie mit einem Notendurchschnitt von 1,2 nach den Ferien auf das Melsunger Gymnasium wechselt.

Nachdem man Luis André vor zwei Wochen unter den fast 9000 Athleten, die sich in einem Testpool befinden, für seine erste Doping-Kontrolle ausgeloste, wurde auch Vivian in Rostock zur Dopingkontrolle gebeten. "Ein Schelm, wer Böses dabei denkt". Erst nach 22 Uhr kam sie von ihrer ersten Dopingkontrolle zurück, so dass eine kleine Meisterschaftsfeier mit ihren Eltern und dem Trainer nicht mehr durchgeführt werden konnte.

Luis Andre, der ruhige und bescheidene Jugendliche, vorsichtig in seinen Äußerungen, abgewogener im Urteil als andere Jugendliche seines Alters, war natürlich nach dem Kugelstoßen von seiner Leistung enttäuscht, obwohl er im Diskuswerfen mit 50,58 Meter den 6. Platz belegt hatte. „Ohne Impfung hätte er einige Meter weiter geworfen. Das hätte zumindest für Bronze, vielleicht aber sogar für Silber gereicht. Im Kugelstoßen begann er mit 14,88 Meter und ließ noch zwei ungültige Versuche folgen, womit er nur auf Rang zehn landete.


Nach Gold noch Bronze über 100 Meter für Vivian Groppe

Nach ihrer Goldmedaille über 200 Meter entschied sich Vivan Groppe (MT Melsungen) am nächsten Tag noch über 100 Meter an den Start zu gehen. Somit hatte auch der letzte Tag der deutschen Jugendmeisterschaften in Rostock für sie und ihre Eltern, die mit nach Rostock gekommen waren sowie für die vielen Vivian Groppe strahlte.Zuschauer in Melsungen und Umgebung, die die Läufe im Livestream verfolgten, noch etwas zu bieten.

Um 11.50 Uhr wurde der erste von sechs 100m-Vorläufen gestartet. Aus jedem Lauf qualifizierten sich die beiden Ersten sowie vier weitere Zeitschnellste für zwei Halbfinalläufe, die 90 Minuten später ausgetragen wurden.

Im ersten Vorlauf setzte sich erwartungsgemäß Annika Just, die einen Tag vorher die Bronzemedaille über 200 Meter gewonnen hatte, mit 12,10 Sekunden vor Luna Nowak (Magdeburg, 12,26) durch. Chelsea Kadiri (Magdeburg) lief als Siegerin des zweiten Vorlaufs mit 12,02 Sekunden vor Maja Huesmann (Münster, 12,13) eine gute Zeit und meldete damit Ansprüche auf das Finale an. Helena Tröster (Lennestadt, 12,09 ) und Josephine Otto (Kassel, 12,25) setzten sich souverän im dritten Vorlauf durch. In diesem Lauf konnte man erkennen, dass es für die Jugendliche aus Bad Zwesten, die im Vorjahr als U16-Weitspringerin mit 6,26 m für Furore gesorgt hatte, nicht leicht werden würde, um in den Endlauf einziehen zu können.

Im vierten Vorlauf setzte sich die Titelverteidigerin, Laura Raquel Müller (Unterländer LG) mit 11,99 Sekunden vor Sarah Ranis (12,14) durch. Die schnelle Jugendliche aus Leipzig hatte noch am 12. Juni beim Sparkassen-Meeting in Osterode im direkten Vergleich gegen Vivian Groppe mit 12,12 zu 12,15 gewonnen. Mira Baus (Schlüchtern) zeigte im fünften Vorlauf mit 12,07 Sekunden eine starke Leistung und qualifizierte sich vor Nele Jaworski (Wolfsburg, 12,16) auf direktem Weg für das Halbfinale. Lynn Gramse (Uerdingen, 12,18) und Carolin Schlung (Bad Sooden-Allendorf), im Vorjahr noch Dritte über 100 Meter, lief nach Siegerehrung 100m - Bronze für Vivian am 01.08.ihrer langen Verletzungspause nach 12,23 Sekunden ins Ziel und qualifizierte sich ebenfalls als eine der vier zeitschnellsten Sprinterinnen für die nächste Runde. Während im letzten Vorlauf Vivian Groppe als Siegerin mit 11,96 Sekunden gestoppt wurde, gab es um Rang zwei ein spannendes Duell zwischen Mariam Soumah (Leipzig) und Cora Kunze, das 12,12 zu 12,13 für die Sprinterin aus Leipzig ausging, die sich damit direkt für das Halbfinale qualifizierte.

Die beiden Halbfinalläufe um 13.20 Uhr machten deutlich, wer im Finale eine Chance auf die Medaillen hatte. Im ersten Rennen holte sich Laura Müller mit 11,75 Sekunden den Sieg vor Annika Just (11,89) und Chelsea Kadiri (11,91). Den vierten Platz belegte Mariam Soumah mit 12,09 Sekunden. Ob diese Zeit für das Finale reichen würde, musste das zweite Halbfinale mit Vivian Groppe entscheiden. Beeindruckend setzte sich die deutsche Meisterin über 200 Meter mit 11,87 Sekunden vor Sarah Ranis (12,01) durch. Erst nach Auswertung des Zielfotos konnte man die Läuferinnen auf den nächsten Plätzen ermitteln: Während sich Maja Huesmann (12,03), Mira Baus (12,04), Cora Kunze (12,06) für das Finale qualifizierten, war für Helena Tröster (12,07) die Endstation gekommen.

Pünktlich zum 100m-Endlauf öffnete der Himmel seine Schleusen, und es begann stark zu regnen. Hatte man vorher noch an Zeiten unter 11,70 Sekunden gedacht, musste man angesichts des schlechten Wetters ein bis zwei Zehntelsekunden zur erwarteten Endlaufzeiten addieren.

Wie erwartet kamen die Favoritinnen Laura Müller, Annika Just und Vivian Groppe gut aus den Blöcken. Nach der Hälfte der Strecke führte die Titelverteidigerin vor Vivian, aber der Vorsprung der deutschen Weitsprungmeisterin wurde nicht mehr größer. Annika Just, die wie entfesselt dem Ziel entgegenstürmte und immer besser in Fahrt kam, überholte auf dem zweiten Abschnitt die Melsunger Sprinterin.Und man hatte auch den Eindruck, dass die Dritte über 200 Meter auch an Laura Müller vorbeiziehen würde. Aber die Jahresschnellste mit 11,66 Sekunden hielt dagegen und ließ sich nicht beirren. Zwanzig Meter vor dem Ziel legte auch Vivian den nächsten Gang ein und kam dem Duo immer näher. Drei Meter vor der Ziellinie lagen alle wieder dicht bei einander. Aber für Vivian sollte es nicht mehr ganz nach vorn reichen. Mit 11,81 Sekunden sicherte sich Laura Müller ihren zweiten Titel an diesem Wochenende, Annika Just folgte in 11,83 nur knapp dahinter. Und Vivian freute sich über ihre zweite Medaille, vor allem aber auch, weil sie bei diesen widrigen Bedingungen mit 11,87 Sekunden zum dritten Mal an einem Tag unter 12 Sekunden blieb.


Text und Fotos: Alwin J. Wagner