Melsungen/Rostock - Von Freitag bis Sonntag (30.07. – 01.08.) finden in Rostock die Deutschen U18-Jugendmeisterschaften statt. Während die Devise für Vivian Groppe lautet: Genießen, Spaß haben und mit einer Medaille nach Melsungen zurückkehren, spielt Luis Andre, der zweite Melsunger Teilnehmer mit dem Gedanken, auf diese Titelkämpfe zu verzichten.

Noch Ende Juni träumte der 16-Jährige von einer oder gar zwei Medaillen in Rostock, denn er wartete nicht nur im Training mit großartigen Leistungen auf. Bei einem Wettkampf in Osterode wuchtete er die 5kg-Kugel am 12. Juni auf 17,09 Meter und kam Ende Juni im Training mit gültigen Stößen sogar an die 18m-Marke heran. Auch der Diskus flog im Juni weit über 50 Meter, aber seit Anfang Juli ließen seine Leistungen in kürzester Zeit stark nach.

Was war geschehen? Luis erhielt am 02. Juli eine Corona-Schutzimpfung. Bereits eine Woche später stellte er im Training einen erheblichen Kraftverlust fest.  Luis André hofft auf eine Weite an die 16m-Marke, um in das Finale im Kugelstoßen zu gelangen.Gleichzeitig gingen seine Leistungen im Kugelstoßen mehr als zwei Meter zurück. Im Diskuswerfen wollte die Scheibe nicht mehr über die 50m-Marke fliegen. Luis wirkte müde, abgeschlagen und lustlos. Man merkte ihm an, dass sich sein Körper aktiv gegen etwas wehrte und deshalb verstärkt Abwehrkräfte mobilisierte.

Der Sportmediziner, Professor Dr. Hans-Herber Vater, der als Teamarzt die deutschen Sportler bei den Paralympics in Peking (2008), London (2012) und Rio (2016) betreute, betonte, dass eine Corona-Impfung grundsätzlich als ganz normale Impfreaktion abläuft. Aber bei Leistungssportlern kann sie auch einen negativen Einfluss auf die Trainings- und Wettkampf-leistungen haben. „Es war nicht vorteilhaft, Luis drei Wochen vor den deutschen Meisterschaften impfen zu lassen“, sagte der Professor, der das Melsunger Kugelstoß-Talent sportmedizinisch betreut.

Alwin Wagner wollte seinen Schützling, der sich zurzeit in der Rekonvaleszenzphase befindet aus präventiven Gründen zur Vermeidung weiterer gesundheitlicher Probleme aus dem Training und dem Wettkampfsport herausnehmen, aber Luis möchte unbedingt noch in Rostock starten. „Ich habe mich das ganze Jahr schon auf diese Meisterschaften gefreut. Auch wenn ich keine Chance für das Erreichen des Finales habe, möchte ich dennoch in Rostock starten. Da ich nach den „Deutschen“ meine zweite Impfung erhalte, werde ich zunächst einmal auf die nächsten Wettkämpfe verzichten“, sagte Luis etwas geknickt.

Diese Probleme hat Vivian Groppe nicht. Sie möchte in der Hansestadt an der Ostsee dem Bundestrainer zeigen, warum sie mittlerweile zur deutschen U18-Spitze gehört. Deshalb hat sie auch ein großes Ziel im Gepäck: „Am Samstagabend möchte ich im 200m-Endlauf vertreten sein und mit einer Medaille nach Melsungen zurückkehren.“

Nachdem sie sich 2020 bei den deutschen U18-Meisterschaften als 15-Jährige die Bronzemedaille sicherte, hofft sie auch in Rostock auf einen Podestplatz. Ein wichtiger Puzzleteil dafür ist ihr enormer Leistungswille. Vivian ist nicht nur ehrgeizig und gibt immer 100 Prozent, sie ist auch eine Kämpferin, die jede Aufgabe hoch motiviert angeht. Je näher die Meisterschaften heranrückten, desto schneller wurde die Jugendliche aus Beiseförth, die nach den Sommerferien mit einem Notendurchschnitt von 1,2 auf das Melsunger Gymnasium wechselt.

Am Samstagabend, kurz vor 18 Uhr, starten 39 Sprinterinnen in fünf 200m-Zeitvorläufen. Die Siegerinnen sowie weitere drei Zeitschnellste werden zwei Stunden später im Finale die deutsche U18-Meisterin auf der halben Stadionrunde ermitteln. Natürlich ist die Ausnahmesprinterin Holly Okuku auf dieser Strecke eine Klasse für sich. Wer sollte sie schlagen? Mit einer makellosen Erfolgsserie glänzte die 16-Jährige aus Baunatal auf dieser Strecke so eindrucksvoll, dass es „Ich hoffe, dass ich auch in Rostock auf dem Treppchen stehen werde“,  sagte Vivian, die bei allem, was sie sagt, ein sympathisches Lächeln im Gesicht trägt. zurzeit keine ernsthafte Konkurrenz für sie gibt. Bei der Junioren-Gala in Mannheim lief sie mit lockeren und raumgreifenden Schritten 23,91 Sekunden und war damit sogar schneller als die besten deutschen U20-Sprinterinnen.

Auch Vivian beeindruckte beim letzten Leistungstest in Wetzlar und unterbot mit 24,16 die Norm für die U18-EM. Aber die Silbermedaille ist damit noch nicht in „trockenen Tüchern“, denn die Konkurrenz ist sehr stark. Mit Christina Onwu (Magdeburg, 24,35), Annika Just (Passau, 24,45), Cora Kunze (Dresden) und Mariam Soumah (Leipzig) pochen mindestes vier weitere Sprinterinnen an der 200m-Tür und melden Ansprüche auf Silber und Bronze an. Allerdings könnte das Stehvermögen den Ausgang des 200m-Finals hinter Holly Okuku entscheidend beeinflussen. Und diese Sprintausdauer könnte für die 1,67 m große Vivian sprechen. Sie hat schon oft bewiesen, dass sie ihre hohe Schrittfrequenz vom Start bis ins Ziel durchziehen kann. Findet sie nach einem guten Start schnell in die Beschleunigungsphase und bleibt auf der Zielgeraden locker, könnte sie in Rostock auf dem Treppchen stehen.

Am dritten Meisterschaftstag werden um 11.50 Uhr sieben 100m-Vorläufe ausgetragen. 90 Minuten später werden drei Halbfinalläufe gestartet, um die acht Endlaufteilnehmerinnen zu ermitteln. Wer anders als Laura Müller (Unterländer LG) könnte sich zwei Stunden später den Sieg holen? Die 17-jährige Titelverteidigerin, die im Vorjahr bereits mit 11,63 gestoppt wurde, führt auch 2021 mit 11,66 Sekunden die U18-Meldeliste an und hebt sich damit deutlich von der Konkurrenz ab. Eine Titelchance rechnet sich auch Holly Okuku aus, die mit der DLV-4x100m-Staffel bei der U20-EM in Tallinn Silber holte und in diesem Jahr beim Meeting in Mannheim mit 11,70 Sekunden Annika Just (11,79) bezwingen konnte. A. Just hatte im Mai in Ulm mit 11,82 zu 11,89 Laura Müller eine Niederlage beigebracht. Damals konnte Vivian nicht in dieses Duell eingreifen und belegte mit 12,07 Sekunden den dritten Rang. In der Zwischenzeit machte sie mit einem perfekten Rennen in Wetzlar mit 11,79 auf sich aufmerksam. Da sie aber zwei schnelle 200m-Läufe vom Vorabend in den Beinen hat, ist für sie eine Zeit unter 12,00 Sekunden eher unwahrscheinlich. Es steht deshalb noch nicht fest, ob Vivian über 100 Meter starten wird. Im Vorjahr machte sie mit dem Doppelstart bei der U18-DM keine gute Erfahrung, denn einen Tag nach dem Gewinn der Bronzemedaille schied sie im 100m-Vorlauf aus.

100m-Zeiten allein sind kein Maßstab, sie können aber Anhaltspunkte sein. Engt man den Kreis der Endlaufanwärterinnen ein, dann stellt sich die Frage: Wo anfangen – wo aufhören? Man weiß vor allen Dingen nicht, ob alle Sprinterinnen ihre Karten bereits auf den Tisch gelegt haben, denn auch Chelsea Kadiri aus Magdeburg, die mit 11,80 Sekunden gemeldet ist, könnte in den Kampf um die Bronzemedaille eingreifen. Die erstaunliche Leistungsdichte zwingt beim Versuch einer Prognose jedoch zur Vorsicht, denn aus den geringfügigen Differenzen von einigen Hundertstelsekunden lässt sich ein Kräfteverhältnis kaum herauslesen. Josefine Otto (Kassel) als Siebte und Luna Nowak (Leipzig) als Vierzehnte, trennen keine 0,1 Sekunden. Gespannt darf man auch auf die Leistung von Sarah Ranis (Leipzig) sein, die im Vorjahr mit 11,93 Sekunden Platz fünf belegte, sich allerdings seit dieser Zeit in vornehmer Zurückhaltung hielt. Auch aus der gemeldeten Zeit von Carolin Schlung (Bad Sooden-Allendorf) kann man nichts erkennen? Die Dritte der letzten Meisterschaften mit 11,86 war lange Zeit verletzt. Erst vor zehn Tagen meldete sie sich mit 12,47 Sekunden auf der Laufbahn zurück.


Text und Fotos: Frank Siesenop