Kiel - Es war allseits als “Top-Spiel” des 11. Spieltages angekündigt – “top” war nach ausgeglichener Anfangsviertelstunde aber nur noch der Gastgeber. Die MT Melsungen hielt 15 Minuten lang mit, dann drehte der THW Kiel immer mehr auf und dominierte bis zum Schlusspfiff das Geschehen deutlich.

Schon zur Halbzeit, beim 20:14, hatten die Nordhessen den Anschluss verloren. Das konnte nach dem 10:10 noch niemand ahnen. Denn trotz mehrerer vergebener hochkarätiger Chancen hatten Lemke & Co. einen 0:3 Rückstand wettgemacht. Die Zebras schienen aus dem Tritt zu kommen, als nach fünf Minuten deren Regisseur Domagoj Duvnjak mit Rot vom Feld geschickt wurde. Der Kroate hatte den anstürmenden Julius Kühn in den Wurfarm gegriffen. Beeindruckend dann, wie sich der Favorit davon nicht nur erholte, sondern das Spiel zu seinen Gunsten drehte. Spätestens beim 27:17 nach 39 Minuten war klar, wie der spätere Sieger heißen würde. Schließlich wurde die MT mit 38:26 auf die lange Heimreise geschickt.

Beste Torschützen vor 10.285 Zuschauern in der ausverkauften Kieler Sparkassen Arena waren Niclas Ekberg (10/6) für die Schwarzweißen und Michael Allendorf (9/5) für die Rotweißen.

Wer als Zuschauer – egal ob in der ausverkauften Arena oder zuhause am Bildschirm – die ersten drei Minuten des Spiels mitkommen wollte, musste schon sehr konzentriert und aufmerksam sein. Denn das Geschehen auf dem Spielfeld lief im Hochgeschwindigkeitsmodus ab: Sieben Angriffe, sieben Torwürfe, vier Treffer – leider nur einer für die MT.

Dabei hatten die Nordhessen mit der Spieleröffnung gleich eine erst hochkarätige Gelegenheit, die allerdings von Marino Maric frei vom Kreis vergeben wurde. Kiels offensive 3:2:1-Abwehr war lehrbuchmäßig ausgespielt worden, aber dahinter war Keeper Niklas Landin hellwach. Und auch vorne lief es für die Hausherren gut an, Nikola Bilyk tankte sich auf Halblinks bis zum Kreis vor – 1:0! Zweiter MT-Angriff, same procedure, wieder die Abwehr ausgespielt und wieder vergibt Maric aussichtsreich. Den prompten Gegenstoß verwandelt Niclas Ekberg zum 2:0. Dritter MT-Angriff, same procedure, diesmal war der freigespielte Tobias Reichmann der Pechvogel im Duell mit Niklas Landin. Im Gegenzug der nächste THW-Treffer, Harald Reinkind über die Halbrechte – 3:0! Michael Allendorf war es vorbehalten, nach exakt 3 Minuten den Melsunger Knoten platzen zu lassen – 3:1!

War das der Wachrüttler? – Hätte man meinen können, da Nebojsa Simic zum ersten Mal die Hand an den Ball brachte und einen Kieler Angriff vereitelte. Aber vorne wollte es weiterhin nicht klappen. Marino Maric hatte an diesem Tage wohl einfach “verwachst”, scheiterte erneut ziemlich freistehend an Niklas Landin. Die Retourkutsche folgte mit Bilyks 4:1. Dann kam es zu einer Szene, die die Kieler Volksseele zum Kochen brachte: Julius Kühn hat Maß genommen, zieht ab und wird von Domagoj Duvnjak per Griff in den Wurfarm unsanft zu Fall gebracht. Die beiden erfahrenen Referees Lars Geipel und Marcus Helbig sind sich schnell einig: Dieser gesundheitsgefährdende Griff wird mit Disqualifikation bestraft. Die norddeutschen Fans sehen das natürlich anders und machen noch obendrein Kühn als Sündenbock aus. Fortan wird jede, aber auch jede Aktion des MT-Rückraumshooters mit gellenden Pfiffen begleitet. Die neutralen TV-Kommentatoren halten mit ihrem Unverständnis darüber nicht hinterm Berg.

Die Eliminierung ihres Regisseurs schien die Kieler in der Tat aus dem Rhythmus zu bringen. Obwohl dessen Ersatz Miha Zarabec seine Sache ordentlich machte. Jedenfalls nutzte die MT geschickt die Gunst der Stunde und setzte zu einer fulminanten Aufholjagd an. Mit einem 4:0-Lauf – zweimal Kai Häfner aus dem Rückraum, Finn Lemke vom Kreis und Michael Allendorf nach toller Simic-Parade von Außen – schafften es die Nordhessen, das Blatt zu wenden (5:6, 11. Min.). Und blieben den Gastgebern bis zum 10:10 (16.) ebenbürtig. Unter anderem deshalb, weil sich der von der Bank gekommene Stefan Salger gleich mit zwei Rückraumtoren erfolgreich einbrachte.

Auch bei den Zwischenständen von 13:11 (20.) und 16:13 (26.) durfte man aus MT-Sicht noch Hoffnungen hegen, das Spiel wieder enger gestalten zu können. Umso überraschender dann die letzten vier Minuten bis zu Halbzeitpfiff. Nachdem Finn Lemke seinen zweiten Treffer vom Kreis markierte hatte, scheiterte kurz darauf Michael Allendorf frei an dem an diesem Tage in Bestform spielenden Niklas Landin. Das war offensichtlich ein Signal für seine Vorderleute, nochmal aufzudrehen. Was sie dann in Personen von Niclas Ekberg, Magnus Landin, Patrik Wiencek und erneut Niclas Ekberg auch taten. Beim 20:14-Halbzeitstand war im MT-Lager Ernüchterung eingekehrt.

Dass dann ausgerechnet die souverän führenden Gastgeber zu spät zum Wiederanpfiff aus der Kabine kamen, sorgte allseits für Verwunderung. Die Gelbe Karte für diese Zeitverzögerung, die anschließend Trainer Filip Jicha auf seine Kappe nahm, war aber schon 30 Sekunden später durch das Tor von Hendrik Pekeler zum 21:14 wieder vergessen.

Für diesen zweiten Durchgang hatte MT-Coach Heiko Grimm den grippal angeschlagenen Johan Sjöstrand zwischen die Pfosten beordert, Domagoj Pavlovic aufs Feld geschickt und Timm Schneider und Felix Danner sollten Kai Häfner und Domagoj Pavlovic in der Abwehr vertreten. Keine Frage, die MT-Cracks waren gewillt, dem THW das Leben schwer zu machen, allein die Umsetzung in die Tat wollte nicht gelingen.

Zum einen, weil weiterhin Niklas Landin schwer zu überwinden war, zum anderen, weil der Kieler Angriff zugegebenermaßen clever und effektiv, eben im Stil einer Klassemannschaft, agierte. Dabei taten sich vor allem Bilyk, Ekberg und Reinkind als Schützen hervor. Unter anderem dank deren Treffer war der THW schon nach 38 Minuten beim Stand von 26:16 vorzeitig auf die Siegerstraße eingebogen.

An dieser Stelle ist die Geschichte des Spiels eigentlich erzählt. Denn was in den verbleibenden 22 Minuten folgte, brachte hüben wie drüben kaum neue Erkenntnisse. Denn die eindeutigen Kräfteverhältnisse änderten sich nicht mehr grundlegend. Aus MT-Sicht positiv ausgedrückt: Diesen Abschnitt verloren die Nordhessen nur noch mit 10:12.


Stimme zum Spiel:

Heiko Grimm: Auch, wenn wir zu Anfang einige klare Chancen vergeben haben, haben wir das Spiel sehr gut begonnen. Uns gelang es gleich mehrere Male, die Kieler 3:2:1-Abwehr auszuspielen, konnten das aber leider nicht in Tore umsetzen. Wir haben dann fast 20 Minuten lang gezeigt, dass wir schon ein recht hohes Niveau haben und auch mit Mannschaften wie dem THW Kiel mithalten können. Aber wir müssen in der Analyse dieses Spiels sehr ehrlich sein und – ohne Vorwürfe machen zu wollen – die Frage stellen, warum man sich nach deutlichen Rückständen förmlich aufgibt. Selbst wenn der Gegner erkennbar besser ist und das Spiel dominiert, darf das einer Profimannschaft nicht passieren. Auch in solchen Spielen muss man fighten bis zum Schlusspfiff. Dass wir bereit waren und uns viel vorgenommen hatten, hat die Anfangsphase ja gezeigt. Deshalb müssen wir nach dieser Niederlage jetzt nicht gleich alles in Frage stellen, schließlich haben wir ja bis dahin sieben Mal in Folge gewonnen. Und unser Ziel ist es ganz klar, mit dem nächsten Heimspiel dort wieder anzuknüpfen.


Statistik:

THW Kiel: N. Landin (1.-60., 18 Paraden), Quenstedt (2 Siebenmeter, 0 P.) – Duvnjak, Reinkind (6), M. Landin (5), Kristjánsson (1), Wiencek (5), Ekberg (10/6), Rahmel (1), Dahmke (n.e.), Zarabec (1), Horak, Bilyk (4), Pekeler (5), Nilsson – Trainer Filip Jicha.

MT Melsungen: Simic (1.-30., 5 Paraden), Sjöstrand (31.-60., 6 P.) – Maric, Kühn (2), Lemke (4), Reichmann (2), Ignatow, Kunkel, Mikkelsen (1), Danner, Schneider, Allendorf (9/5), Sidorowicz, Häfner (5), Salger (2), Pavlovic - Trainer Heiko Grimm.

Schiedsrichter: Lars Geipel (Leipzig) / Marcus Helbig (Landsberg)

Zeitstrafen: 6 – 12 (Zarabec, Bilyk, Horak – Häfner, Salger, Maric, Kühn, Schneider, Danner) – Disqualifikation nach grobem Foul an Julius Kühn

Strafwürfe: 6/6 – 6/5 (Allendorf trifft die Latte, verwandelt aber den Nachwurf).

Zuschauer: 10.285, Sparkassen Arena Kiel (ausverkauft)


Das nächste Spiel:

Sa., 09.11.2019, 20:30 Uhr, MT Melsungen – SC DHfK Leipzig, Rothenbach-Halle Kassel (ausverkauft)