Flensburg - Das war am Pfingstmontag in Flensburg definitiv nicht die MT Melsungen, die noch 46 Stunden zuvor Tabellenführer THW Kiel mit einem starken Auftritt an den Rand eines Punktverlustes gebracht hatte. Im Nachholspiel der Handball-Bundesliga wurden die Nordhessen von Kiel-Verfolger SG Flensburg-Handewitt mit 36:20 aus der Halle gescheucht. Entschieden war die Partie praktisch schon beim 21:9 zur Halbzeit.

Beste Akteure der Hausherren waren Torwart Torbjörn Bergerud mit 14 Paraden und die beiden Feldspieler Jim Gottfridsson mit acht und Johannes Golla mit sieben Toren. Bei der MT gefielen noch am ehesten die beiden Keeper Nebojsa Simic und Silvio Heinevetter mit zusammen 11 Paraden. Erfrischender Lichtblick bei den Gästen war der erst 18-jährige Paul Kompenhans, der jetzt mit gleich drei Treffern erstmalig in der Bundesliga-Torschützenliste auftaucht.

Mit der dritthöchsten Niederlage in ihrer 16-jährigen Bundesligageschichte musste die MT Melsungen am Pfingstmontag in Flensburg eine bittere Pille schlucken. Damit ist gleichzeitig der zuvor gezeigte Aufwärtstrend mit der fast optimalen Punkteausbeute gegen Leipzig, Göppingen, Minden und Bergischer HC, sowie dem beherzten Auftritt am Samstag beim knappen 28:29 gegen Tabellenführer THW Kiel jäh gestoppt worden.

Das hatten sich die Nordhessen ganz anders vorgestellt, wie Kai Häfner noch vor dem Anpfiff im SKY-Interview sagte: “Gegen Kiel haben am Ende nur Kleinigkeiten gefehlt, um mal einen Großen zu schlagen. Das wollen wir heute besser machen. Wir werden versuchen, einen guten Ball zu spielen, die Abwehr noch enger zu machen und selber aufs Tempo zu drücken, um auch möglichst einige einfache Tore zu erzielen”. Dabei warnte der Nationalspieler vor den Flensburgern: “Die spielen einen unglaublich schnellen Ball, sowohl im Umschaltspiel als auch im Positionsangriff. Da läuft der Ball perfekt, jeder weiß, was er machen muss.”

So ähnlich kam es dann auch. Allerdings galt das nicht für die MT, die gleich im ersten Angriff des Spiels eine Riesenchance ausließ. Arnar Arnarsson konnte am Kreis den Ball nicht an Flensburgs Schlussmann Torbjörn Bergerud vorbeibringen. Dessen Vorderleute machten es umgehend besser, Lasse Svan verwandelte nach 54 gespielten Sekunden über Rechtsaussen zum 1:0. Und auch den zweiten Vorstoß ließ die MT ungenutzt, Julius Kühns Wurf wurde abgewehrt. Wie gut, dass danach Domagoj Pavlovic, der gegen Kiel noch unter einem Magen-Darm-Infekt litt, ausgleichen konnte. Weil im Gegenzug erneut Flensburg erfolgreich war (Magnus Rød), Kai Häfner ein Fehlwurf unterlief und auf der anderen Seite Johannes Golla einlochte, stand es – noch ehe fünf Minuten absolviert waren – 3:1 für die Hausherren.

Drei Minuten später hatte Timo Kastening eine starke Szene, als er nach Zuspiel von Julius Kühn den 5:4-Anschluss herstellte. Der Rückraumspieler unterbrach dann vorübergehend den Flensburger Vorwärtsdrang mit seinem ersten eigenen Treffer zum 7:5 (11.). Die aber ließen sich jetzt nicht mehr aufhalten, sondern spielten sich mit einem fulminanten 6:0-Lauf förmlich in Rage. Was war passiert? Während sich die Gäste eine Fahrkarte nach der anderen leisteten und zum Teil auch in aussichtsreicher Position immer wieder an Torbjörn Bergerud scheiterten, fielen beim Gegner die Tore wie reife Früchte. Und hätte in dieser Phase Nebojsa Simic nicht noch zwei “Unhaltbare” vereitelt, wäre der Abstand sogar noch deutlicher als dieses 13:5 nach kaum 20 gespielten Minuten ausgefallen.

Kurz zuvor hatte Gudmundur Gudmundsson noch per Timeout seinem Team neue Angriffsideen mit auf den Weg gegeben und obendrein frische Akteure aufs Parkett beordert (Felix Danner für Marino Maric, Stefan Salger für Kai Häfner). Besser wurde es dann aber nicht. Auch wenn Domagoj Pavlovic zum 13:6 (20.) und etwas später Felix Danner zum 15:7 (23.) trafen, war keine nennenswerte Steigerung in Sicht.

Im Gegenteil: Flensburg blieb auf dem Vormarsch, Melsungen mühte sich, blieb aber weitestgehend torlos. Lediglich Nebojsa Simic stand noch mehrere Male goldrichtig – etwa gegen den von rechts hereinfliegenden Lasse Svan oder den mittig heranstürmenden Hampus Wanne. Der 21:9-Halbzeitrückstand verdeutlichte den Klassenunterschied. Schimmer konnte es wohl nicht mehr kommen.

Betrachtet man mit etwas Galgenhumor isoliert das Ergebnis der zweiten Spielhälfte, stimmt dies sogar. Die verlor Melsungen nämlich “nur” mit 15:11. Am Gesamtbild indes änderte das nur wenig. Denn egal was die Gäste auch versuchten, es wollte einfach kaum etwas gelingen. Anders beim Gegner. Der war angriffsmäßig längst im Spielrausch und abwehrmäßig einfach weiterhin schnell auf den Beinen und vehement im Zupacken.

Die Nordhessen probierten es mit Positionsumbesetzungen in der Abwehr und im Angriff, oder mit dem Spiel ”Sieben gegen Sechs”. Sogar Tobias Reichmann nahm zeitweise den Posten im rechten Rückraum ein, weil Kai Häfner angeschlagen war. Erfolgserlebnisse hatten oft nur die Torhüter. Als Silvio Heinevetter nach rund 37 Minuten für Nebojsa Simic zwischen die Pfosten ging, konnte zwar auch er keine Wunder mehr vollbringen – die MT lag zu diesem Zeitpunkt mit 12:25 im Rückstand – doch zumindest für einige helle Momente sorgen, unter andrem mit einem gehaltenen Strafwurf gegen Hampus Wanne.

Gewechselt wurde auch auf Flensburger Seite. Trainer Maik Machulla hatte zuvor bereits den künftigen Melsunger Alexander Petersson gebracht – dem übrigens mit seinem ersten Ballkontakt gleich ein Treffer gelang – und später unter anderem mit Marius Steinhauser einen frischen Rechtsaußen sowie mit dem 19-jährigen Magnus Holpert ein Talent auf der Regieposition.

Apropos Talent: Das gab es auch auf Seiten der MT und zwar in Person von Paul Kompenhans. Der A-Jugendliche war am Freitag nach dem Halbfinalspiel der MT-Talents in Berlin zum Bundesligateam gestoßen. Eigentlich sollte den Platz Ole Pregler einnehmen, doch der Rückraumspieler hatte sich gegen den Füchse-Nachwuchs verletzt. Des einen Pech, des anderen Glück: Kompenhans kam in der 49. Minute in der Flens Arena aufs Parkett, spielte als halblinker Rückraumakteur zwei Pässe, die leider ihr Ziel verfehlten, blieb aber weiter mutig. Und belohnte sich dann eindrucksvoll selber. Mit seinen drei Treffern zum 33:17, 34:18 und dem Schlusspunkt zum 36:20 ist der 18-jährige nun erstmalig in der Bundesligatorschützenstatistik zu finden.

Zeit, um die Wunden zu lecken, hat das MT-Team nur bis zum Donnerstag. Dann steht nach vier Auswärtsspielen in Folge endlich wieder ein Heimspiel auf dem Programm: Um 19:00 Uhr wird in der Kasseler Rothenbach-Halle das Match gegen die Eulen Ludwigshafen angepfiffen.

Tobias Reichmann fasste den MT-Auftritt nach dem Abpfiff im Sky-Interview so zusammen: “Wir haben scheiße gespielt und zwar in Abwehr und Angriff, wir waren hinten in der Mitte zu offen und haben uns vorne zu viele Fehler erlaubt”.


Statistik:

SG Flensburg-Handewitt: Bergerud (1.-54 Min.; 14 Paraden / 17 Gegentore), Backhaus (55.-60. Min; 1 P./ 3 G.) – Golla 7, Hald 1, Svan 1, Wanne 4/2, Jøndal 1, Steinhauser 5, Mensah 2, Søgard, Gottfridsson 8, Holpert, Petersson 3, Rød 4 – Trainer Maik Machulla.

MT Melsungen: Simic (1.-37. Min. 7 Paraden / 25 Gegentore), Heinevetter (38.-60. Min.; 4 P. / 11 G.) – Maric 1, Kühn 5, Lemke 1, Reichmann 2/1, Kunkel 1, Mikkelsen 1, Danner 1, Arnarsson, Allendorf, Häfner 1, Salger, Kastening 2, Pavlovic 2, Kompenhans 3 – Trainer Gudmundur Gudmundsson.

Schiedsrichter: Marcus Hurst (Berlin) / Mirko Krag (Frankfurt)

Zeitstrafen: 6 Min. – 8 Min. (Hald, 22:08 Min. und 29:09 Min.; Rød, 24:51 Min. – Allendorf 6:21 Min.; Danner, 25:27 Min.; Lemke, 36:06 Min. und 54:16 Min.)

Strafwürfe: 2/4 – 1/4 (Wanne wirft übers Tor, 45:41 Min.; Wanne scheitert an Heinevetter, 54:37 Min. – Kastening scheitert an Bergerud, 12:04 und 31:03 Min; Reichmann scheitert an Bergerud, 52:04 Min.)

Spielort: FLENS Arena, Flensburg, ohne Zuschauer


Das nächste Spiel:

Do., 27.05.21, 19:00 Uhr, MT Melsungen – Eulen Ludwigshafen, Rothenbach-Halle Kassel