Hamburg (ots) - Oliver Bierhoff, Direktor Nationalmannschaften beim Deutschen Fußball-Bund (DFB), hat sich im Exklusiv-Interview mit dem stern gegen einen Boykott der Weltmeisterschaft in Katar ausgesprochen. "Wir glauben an die Kraft des Sports, die Menschen verbindet, Vorurteile abbaut, für Begegnungen und Freundschaften über die Dauer einer Weltmeisterschaft hinaus sorgt. Der Sport hat die Kraft, Brücken zu bauen, im Dialog zu bleiben und Veränderungen anzustoßen, das hat er schon oft bewiesen", sagte Bierhoff im Gespräch mit dem stern (Ausgabe vom 05.01.2022).

Am Gastgeberland Katar entzündet sich seit längerem Kritik. Die Situation der Gastarbeiter, die Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen - die Liste der Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen ist lang. Jüngst hatte Amnesty International gemeldet, dass seit der WM-Vergabe 15 000 Gastarbeiter ums Leben gekommen sein sollen, der Großteil unter ungeklärten Umständen. Bierhoff sagte dazu: "Wenn diese Zahlen stimmen, sind sie natürlich erschreckend. Hier ist nun die Fifa als Ausrichterin und Organisatorin des Turniers gefordert, für Aufklärung zu sorgen."

Bei der Europameisterschaft im vergangenen Sommer hatte sich die deutsche Nationalmannschaft mit Statements gegen Diskriminierung positioniert. So trug Kapitän Manuel Neuer eine Regenbogenbinde, und das Team setzte mit dem Kniefall ein Zeichen gegen Rassismus. Ob für die WM in Katar ähnliche Aktionen geplant sind, ließ Bierhoff offen: "Das kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sagen, denn der Impuls für solche Aktionen kommt direkt aus der Mannschaft selbst. Wir als DFB diktieren nichts von oben herab, was auch falsch wäre. Wir begleiten solche Prozesse und sorgen für Information und Aufklärung. Ich bin froh, dass wir mündige Spieler haben. Eine sensible Mannschaft, die weiß, dass Fußball mehr ist als nur Sport, und diese Bühne nutzt, um offensiv für Menschenrechte einzutreten."

Sportlich sieht Bierhoff die Nationalmannschaft auf einem guten Weg, seit Hansi Flick im August 2021 das Bundestraineramt übernommen hat. "Wir spüren alle eine Aufbruchstimmung und eine Begeisterung für den neuen Weg, den Hansi eingeschlagen hat - auf den Rängen, aber auch auf dem Feld. Vielleicht hat die Mannschaft auch einen Wechsel auf der Cheftrainer-Position gebraucht, damit ihr das Päckchen von den Schultern genommen wird, das sie schon eine Zeit lang mit sich herumschleppt."

Trotz des frühen Ausscheidens des DFB-Teams bei der EM 2021 (0:2 gegen England im Achtelfinale) kann Bierhoff keinen großen Abstand zur Weltspitze erkennen. "Ich sehe uns auf einem hohen Niveau, wir haben Spieler, die in der Champions League bei Bayern München oder ausländischen Vereinen spielen. Frankreich, Spanien, Italien - ich glaube nicht, dass die uns aktuell an die Wand drücken würden", sagte Bierhoff dem stern.


Quelle: stern