Berlin - Die ohne sechs Stammkräfte zum Tabellenführer in die Hauptstadt gereiste MT Melsungen wurde von den Berlinern mit 35:25 (17:13) klar in die Schranken verwiesen. So leicht wie es das Ergebnis vermuten lässt, hatten es die Füchse mit ihrer Beute aber nicht unbedingt. Denn die unter anderem ohne Linkshänder im Rückraum operierenden Nordhessen schafften es zumindest in den ersten 25 Minuten, die Partie offen zu halten (13:12). Dann war der Faden plötzlich gerissen.

Auf der anderen Seite legten die Hausherren bis zum Pausenpfiff einen 4:0-Lauf aufs Parkett und sorgten damit für den ersten größeren Vorsprung. Im zweiten Durchgang kam Melsungen zwar noch vier Mal jeweils bis auf vier Tore heran, konnte aber den immer sicherer aufspielenden Tabellenführer nie mehr ernsthaft in Gefahr bringen.

Beste Spieler vor 8.717 Zuschauerinnen und Zuschauern in der Max-Schmeling-Halle waren Berlins Linksaußen Milos Vujovic (10 Tore) und Melsungens Rechtsaußen Timo Kastening (6/2). Das Torhüter-Duell gewann MT-Keeper Adam Morawski, der 60 Minuten lang zwischen den Pfosten stand, mit elf Paraden. Seine beiden Pendants auf Berliner Seite, Dejan Milosavljev und Victor Kireev, parierten zusammen nur zehn Würfe.

Die große Zahl an personellen Ausfällen zieht sich bei der MT Melsungen weiter durch diese Saison wie ein roter Faden. In Berlin musste Trainer Roberto Garcia Parrondo gleich auf sechs Stammkräfte verzichten und entsprechend improvisieren. Besonders bitter: Für die halbrechte Rückraumposition stand – wie schon zuletzt gegen Leipzig – kein Linkshänder zur Verfügung. Denn außer Ivan Martinovic (Fußgelenk-OP) musste auch Kai Häfner passen. Der Kapitän war zwar mitgereist, hatte aber nach überstandenem Corona-Infekt noch kein ärztliches “Go” für einen Wettkampfeinsatz erhalten. Darüber hinaus fehlten noch der erkrankte Rechtsaußen Dimitri Ignatow, Kreisläufer Rogério Moraes (Knieverletzung), sowie die beiden seit längerem rekonvaleszenten Rückraumakteure Finn Lemke und Domagoj Pavlovic.

Dennoch fanden die Nordhessen nach den beiden Berliner Auftakttreffern durch Robert Weber (Strafwurf) und Paul Drux zügig ins Spiel. Julius Kühn, der bei seinem ersten Versuch mit einem fulminanten Lattentreffer ein hörbares Signal gab, traf beim zweiten zum 2:1-Anschluss in den von Dejan Milosavljev gehüteten Kasten. Und weil im Gegenzug auch Jacob Holm am Gebälk scheiterte, konnte die MT daraufhin durch Arnar Freyr Arnarsson ausgleichen.

In der Folge legten die Hausherren mal eins, mal zwei Tore vor, ohne sich jedoch absetzen zu können. Denn Melsungen verstand es jeweils, von verschiedenen Positionen aus zu antworten. Ob erneut Julius Kühn von halblinks, André Gomes von halbrechts oder Arnar Freyr Arnarsson vom Kreis.

Nach gut 13 Minuten – Paul Drux hatte gerade das 9:5 erzielt – sah es so aus, als könnten sich die Füchse erstmalig etwas mehr Luft verschaffen. Obwohl Adam Morawski, der von Beginn an zwischen den Pfosten stand, zuvor noch einen Strafwurf des blitzverpflichteten Robert Weber (als Ersatz für den verletzten Hans Lindberg) vereitelt hatte. So gut, wie der MT-Keeper auf dem Posten war, waren seine Vorderleute indes nicht ganz. Gerade im Spiel “Eins-gegen-Eins” bekamen sie zu wenig Zugriff auf die Offensivkräfte.

Verbesserung gab es erst, nachdem Roberto Garcia Parrondo die Abwehr etwas offensiver operieren ließ und so das Berliner Aufbauspiel nicht ganz zur Entfaltung kam. Das war auch entscheidend dafür, dass sich die Rotweißen wieder näher heranarbeiten konnten. Die Tore zum 10:8-Zwischenstand (17. Min.) erzielten Timo Kastening von Rechtsaußen und von der Siebenmeterlinie und von Linksaußen David Mandic. Und weil jetzt Adam Morawski richtig heiß gelaufen war, zweimal glänzend gegen frei vor ihm auftauchende Berliner reagierte und Elvar Örn Jonsson mit perfektem Timing von halbrechts ins lange Eck einnetzte, war beim 11:10 durch Agustin Casado (22.) praktisch alles wieder offen. Dabei hatte die MT sogar Gelegenheiten, die Füchse zu überholen, aber die Flügelzange Kastening/Mandic scheitere jeweils aussichtsreich an Dejan Milosavljev.

Um eine Zeitstrafe zu kompensieren, hatte die MT den Torhüter zugunsten eines weiteren Feldspielers herausgenommen. Was mit dem Anschlusstreffer zum 11:10 noch perfekt aufging, wurde per “Schneller Mitte” postwendend von den Füchsen mit dem Wurf ins leere Melsunger Gehäuse zum 12:10 bestraft. Danach begünstigte ein Stürmerfoul von Aidenas Malasinskas das 13:10 (23.). Für die MT antworteten Agustin Casado und Arnar Freyr Arnarsson: Der Spanier spielte einen Traumpass zum Kreis, der zum 13:11 führte. Kurz darauf brachte Timo Kastening per souverän verwandeltem Strafwurf seine Farben wieder auf 13:12 (24.) heran.

Warum in den letzten sechs Minuten dieses ersten Durchgangs dann das Pendel doch noch mit 17:13 zugunsten der Hausherren ausschlug, lag hauptsächlich an zwei Ballverlusten, einem Fehlwurf und einer doppelten Zeitstrafe gegen die MT. Die kurz zuvor verhängten Zweiminuten gegen Max Darj konnte Melsungen indes nicht zu einem Treffer nutzen. Gut nur, dass Adam Morawski den letzten Wurf vor der Sirene von Fabian Wiede abwehren konnte.

Berlin musste in der ersten Minute des zweiten Durchgangs noch ohne Darj auskommen, die MT weitere rund 45 Sekunden ohne Kühn und Jonsson. Den ersten Wurf nahm sich Aidenas Malasinskas, der allerdings landete in den Fängen von Dejan Milosavljev. Sein Melsunger Pendant ließ eine noch spektakulärere Parade gegen Robert Weber folgen. Dennoch war den Füchsen das erste Tor in der zweiten Spielhälfte vorbehalten. Der an diesem Tage äußerst treffsichere Linksaußen Milos Vujovic erzielte das 18:13 (32.). André Gomes konterte wenig später mit einem Kracher zum 18:14.

Dieser Vier-Tore-Abstand blieb über die folgenden fünf Minuten konstant, ehe Kreisläufer Mijajlo Marsenic auf 22:17 erhöhte (38.). Als daraufhin Mathias Gidsel mit perfektem Drehwackler auf 23:17 stellte, nahm Roberto Garcia Parrondo eine Auszeit. Mit Erfolg, wie der anschließend sehr gefühlvolle Heber von David Mandic zum 23:18 (40.) zeigte.

Dichter herankommen sollte die MT dann aber bis zum Schluss nicht mehr. Im Gegenteil: Weil sich die Berliner jetzt endgültig in einen Flow gespielt hatten, ernteten sie ihre Treffer wie reife Früchte. Die MT-Hintermannschaft fand gegen die agilen Füchse, bei denen vor allem Linksaußen Milos Vujovic und Kreisläufer Mijajlo Marsenic zur Hochform aufliefen, kaum noch wirksame Mittel. Hätte Adam Morawski nicht noch einige Male großartig reagiert, wäre die Niederlage womöglich noch deutlicher ausgefallen.

“Minus 10 Tore hört sich wirklich hart an. Wir hatten einige gute Phasen, aber es kam zu einem frühen Bruch in unserem Spiel. Ja, wir haben viele Ausfälle, aber bei der Qualität, die wir heute auf der Platte hatten, hätten wir sicherlich die Niederlage auch bei Minus 3 halten können”, so ein ernüchterter Timo Kastening im anschließenden SKY-Interview.


Weitere Stimmen zum Spiel:

Mathias Gidsel (Füchse Berlin) ...

... zur Frage, ob er mit seiner Leistung zufrieden sei: „Nein. Es wäre schön, wenn ich ein paar Tore mehr erzielt hätte. Der Torwart von Melsungen hat ein paar Videos gesehen. Das ist so, das Wichtigste waren aber die zwei Punkte. Jetzt geht es weiter zu einem entscheidenden Meisterschaftsspiel in Magdeburg.“

... zum anstehenden Topspiel in Magdeburg: „Magdeburg ist eine Meisterschaftsmannschaft und vielleicht der Favorit. Sie spielen fantastisch in der Champions League. Es wird ein hartes Spiel, wir müssen es aber versuchen. Wir brauchen eine Topleistung, um sie zu schlagen.“


Mijajlo Marsenic (Füchse Berlin) ...

... zum Spiel: „Wir haben zurecht souverän gewonnen. Wir haben gut gespielt und wussten von Anfang an, dass wir das ganze Spiel unsere Abwehr spielen müssen, um zwei Punkte zu holen. Aus unserer Abwehr haben wir viel Tempo gemacht. Wir sind mit dem Ergebnis sehr glücklich. Das nächste Spiel kommt allerdings in zwei Tagen und wir müssen dafür bereit sein.“

... zu Mathias Gidsel und Fabian Wiede: „Wenn Mathias und Fabian den Ball haben, muss ich immer bereit sein. Man weiß nie, wann der Ball kommt. Sie sind beide Topklasse und ich freue mich, mit ihnen spielen zu dürfen.“


Jaron Siewert (Trainer Füchse Berlin) ...

... zum Spiel: „Wenn es so gut läuft, besonders wie in der zweiten Hälfte, kann man das Spiel etwas entspannter sehen. In der ersten Halbzeit hatten wir einige Probleme. Im Angriff war über 60 Minuten ein super Flow, in der Abwehr haben wir uns allerdings mit einem Rechtshänder schwergetan. Dann kommen die Paraden in der zweiten Halbzeit, wir kommen ins Tempospiel und alles war super.“

... zur Aufgabe in der European League am Dienstag vorm Spitzenspiel in Magdeburg: „Es ist ein Pflichtspiel, wir wollen unsere Aufgabe erledigen und einen Sieg einfahren. Wir wollen nicht mit einem Negativerlebnis gegen Magdeburg antreten. Dann ist das Highlight am Sonntag, das steht über allem. Die Spieler wissen, dass sie das am Dienstag zu absolvieren haben, aber den Fokus dann auf Magdeburg richten müssen.“


Timo Kastening (MT Melsungen) ...

… zum Spiel: „Minus zehn hört sich am Ende ziemlich hart an. In der ersten Halbzeit und den ersten Minuten der zweiten Halbzeit haben wir gut gespielt, wenn wir das Spiel auch nicht gekippt haben. Wir haben Berlin wegziehen lassen, da zu früh der Druck aus dem Spiel war. Vielleicht war es personeller Aderlass, den wir wieder in der Mannschaft haben. Das ist aber keine Ausrede mehr. Wir hätten mit der Qualität, die wir auf der Platte hatten, mit minus drei, einem Unentschieden oder wenigstens minus sechs nach Hause fahren können.“

… zu seinem Einsatz über 50 Minuten: „Die Lunge ist am Pusten, aber ich fühle mich gut und fit. Es macht Spaß, wieder zu spielen. Endlich wieder auf der Platte zu stehen ist das, was mir am meisten Spaß macht.“

... zur Nicht-Nominierung zur Nationalmannschaft (vor dem Spiel): „Wenn man nicht nominiert ist, ist man nie einverstanden. Das muss auch dein Anspruch sein, wenn du mit dabei sein möchtest. Ich glaube aber auch, dass Alfred sich etwas dabei denkt. Luki und Jonny haben eine gute WM gespielt. Dementsprechend werde ich kein Fass aufmachen.“


Velimir Petkovic (Nationaltrainer Russland) ...

... zu seiner Rückkehr nach Berlin (vor dem Spiel): „Ich war ein wenig aufgeregt, in diese Halle zurückzukehren. Ich freue mich aber, alle wiederzusehen. Sie haben mich beurlaubt, das verstehe ich. Das ist der Job, so ist das Geschäft. Ich war ein paar Monate sauer, wir haben uns aber ein paar mal gesehen und ausgesprochen. Wir sind wieder Freunde, keine Frage.“

... zur Arbeit als Russlands Nationaltrainer (vor dem Spiel): „Ich bekomme viele Fragen zu dem Thema. Ich bekomme nicht mit, was in der Welt passiert. Ich arbeite eng mit meinen Jungs zusammen, wir halten regelmäßig alle zwei Monate ein Trainingslager ab. Wir sind von allen internationalen Turnieren ausgeschlossen worden, hatten aber das Glück, mit der belarussischen Mannschaft trainieren zu können. Das ist eine gute Mannschaft. Meine Aufgabe und die des Vorstands ist, den russischen Handball am Leben zu behalten.“

... zu seinen Bemühungen, während der WM Testspiele zu organisieren (vor dem Spiel): „Ich habe viele Gespräche mit meinen Kollegen aus der ganzen Welt geführt. Wir sind beim nächsten Trainingslager begrenzt, da in Europa die Qualifikation gespielt wird. Aber ich war erfolgreich und im April werden wir die ersten internationalen Spiele seit Beginn des Krieges spielen. Ich sage nicht, gegen welche Nation. Wir wurden eingeladen, das macht uns glücklich.“

… zur MT Melsungen (vor dem Spiel): „Irgendwo muss es ein Problem in Melsungen geben. So viel Geld, so viele Spieler, sie haben so oft den Trainer gewechselt. Irgendwas stimmt nicht mit der Moral im Verein.“


Sky Experte Martin Schwalb ...

… zum Spiel: „Die Füchse haben verdient gewonnen, wenn mit zehn Toren auch vielleicht etwas zu hoch. Die ersten 20 Minuten haben die Melsunger es gut gemacht, haben allerdings über die gesamte Spielzeit hinweg die Abwehr nicht geschlossen bekommen.“

… zur Leistung der Füchse: „Die Mannschaft hat großen Glauben an das, was sie können, vermittelt. Alle spielen mit, jeder ist aufmerksam. Dann kann da eine so gute Leistung bei rauskommen.“

… zu den Meisterschaftsträumen der Füchse: „Es ist immer das eine, sich die Chance, deutscher Meister zu werden, zu erarbeiten. Das andere ist, es tatsächlich zu werden. Es ist schwierig, du musst konzentriert bleiben und brauchst ein bisschen Glück. Du brauchst auch in den entscheidenden Situationen das Selbstbewusstsein. Es gehört viel dazu, aber schauen wir es uns an und haben Spaß dran.“

... zu Petkovics Arbeit als russischer Nationaltrainer (vor dem Spiel): „Es ist wichtig, trotz der Situation in Russland, weitertrainieren zu können. So kannst du international das Niveau halten. Der russische Handball war über viele Jahre sehr erfolgreich. Es ist wichtig, dass Sportler sich bewegen können, obwohl die Zeiten sehr schwer sind. Ich kann verstehen, dass Petkovic sich irgendwann mal aufs sportliche konzentrieren möchte.“


Füchse Berlin: Milosavljev (5 Paraden), Kireev (5 P.) – Wiede 2, Darj 3, Holm 2, Lichtlein, Gidsel 4, Freihöfer 1, Ende, Kopljar, Överby, Vujovic 10, Weber 2/1, Marsenic 7, Drux 4 – Trainer Jaron Siewert.

MT Melsungen: Morawski (11 Paraden), Simic (n.e.) – Kühn 3, Malasinskas 1/1, Casado 2, Drosten, Jonsson 3, Arnarsson 3, Gomes 5, Kalarash, Fuchs, Kastening 6/2, Mandic 2 – Trainer Roberto Garcia Parrondo.

Schiedsrichter: Fabian Baumgart (Neuried) / Sascha Wild (Offenburg)

Zeitstrafen: 8 Min. – 10 Min. (2x Darj, Kopljar, Drux – 2x Kühn, Jonsson, Kalarash, Mandic).

Strafwürfe: 1/2 –3/4 (Weber scheitert an Morawski, 12:38 Min. – Kastening scheitert an Kireev, 50:18 Min.).

Zuschauer: 8.717, Mac Schmeling-Halle, Berlin


Die nächsten Spiele:

Do., 02.03.23, 19:05 Uhr, VfL Gummersbach – MT Melsungen, Schwalbe-Arena

So., 19.03.23, 14:00 Uhr, MT Melsungen – THW Kiel, Rothenbach-Halle Kassel