Kassel - Handball-Bundesligist MT Melsungen geht neue Wege, um vorbeugend gefährlichen Viren auf die Spur zu kommen. Mit einer von der Palas GmbH und Dr. Gerhard Scheuch, einem der führenden deutschen Aerosol-Experten, entwickelten Methode, messen die MT-Profis vor jedem Zusammentreffen die Aerosolkonzentration in ihrer Atemluft. Beim Überschreiten eines bestimmten Wertes gilt der Betreffende als infektiös und kann so von der Gruppe isoliert werden, bevor er andere ansteckt.

Die Coronaviren werden bekanntlich vor allem durch das Einatmen von virenhaltigen Aerosolen übertragen. Wenn diese Methode Schule macht, wäre dies nach Auffassung des Wissenschaftlers neben den bisherigen Testmethoden ein weiterer Meilenstein beim Kampf gegen die Pandemie.

Ist die MT Melsungen gerade Teil eines historischen Moments und womöglich sogar Wegbereiter einer bahnbrechenden Methode? Nein, es geht hier ausnahmsweise nicht um Handball. Zumindest nicht in erster Linie. Denn die Dimension in diesem Fall ist weitaus größer. Es geht um nicht weniger als um die erfolgreiche Bekämpfung der Corona-Pandemie.

Der Anfang dieser Geschichte ist schnell erzählt: Ein Freund der MT stellt einen Kontakt zwischen dem Bundesligisten und Dr. Gerhard Scheuch her, seines Zeichens Physiker und einer der führenden Experten auf dem Spezialgebiet Aerosole. Der Weg zwischen Melsungen und Gemünden im Landkreis Waldeck-Frankenberg, dem Sitz von Dr. Scheuch, ist kurz genug, um sich intensiv darüber auszutauschen, wie eine von dem Wissenschaftler entwickelte Methode zur Atemluftmessung im Umfeld des Bundesligisten praktisch angewendet werden kann. Dabei geht es natürlich um Aerosole.

Was sind Aerosole sind und wie wirken sie?

Aerosole sind, vereinfacht gesagt, Luft mit schwebenden Partikeln, die fest oder flüssig sein können. Die Aerosolteilchen sind in der Regel nur wenige Nanometer oder Mikrometer groß. Diese gelangen über die Atemluft in die Lunge. Beim Ausatmen wird ein Teil von ihnen wieder an die Umgebung abgegeben. Ist der Abstand zwischen zwei Menschen gering, wird der jeweils andere mit den ausgeatmeten Aerosolen des Gegenübers konfrontiert. Im Zuge der Pandemie-Forschungen hat man herausgefunden, dass Aerosole in großem Maße für die Verbreitung der Corona-Viren verantwortlich sind – Wissenschaftler sprechen von der “aerogene Übertragung”. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das Risiko der Verbreitung von SARS-CoV-2 über Aerosole bereits erkannt. In der Lunge werden solch kleine Aerosolteilchen auch erzeugt, welche die Viren, die sich in der Lunge vermehrt haben, wieder nach außen befördern.

Wo ist die Ansteckungsgefahr mit Viren wie hoch – Dr. Scheuch kennt die Antworten

“Überall, wo Menschen in geschlossenen Räumen mit geringem Frischluftaustausch über einen längeren Zeitraum relativ dicht beisammen sind, ist die Gefahr sehr hoch, dass sie sich anstecken, wenn sich unter ihnen einer befindet, der infektiös ist. Die Ansteckung mit Aerosolen, die krankmachende Viren enthalten, erfolgt dabei über die Atemluft”, weiß Dr. Scheuch.

Der Experte, der den Wissensaustausch auf höchster Ebene pflegt und zum Beispiel Kontakte zum Bundesgesundheitsministerium genauso unterhält wie zum Robert-Koch-Institut, weiß aber auch, wo die Ansteckungsgefahr gegen Null tendiert: “Draußen in der freien Natur, an der frischen Luft, kann praktisch gar nichts passieren. Da verflüchtigen sich die Aerosole in kürzester Zeit und ihre Konzentration nimmt rapide ab. Wer beim Joggen, Walken oder Radfahren anderen Menschen begegnet, wird sich nicht mit Corona infizieren. Sehr gering ist auch die Gefahr in gut durchlüfteten Räumen, in denen sich Menschen nur eine begrenzte Zeit aufhalten, Abstand wahren und zudem noch Masken tragen. Insofern sage ich als Wissenschaftler, dass die Schließung zum Beispiel von Museen, Theatern oder auch Restaurants nicht entscheidend dazu beiträgt, die Pandemie zu bekämpfen. Ich betone aber, ich bin nur Wissenschaftler und kein Politiker, der das in der Regel zu entscheiden hat. Vorkehrungen sollte man verstärkt in Einrichtungen wie Pflegeheime und Schulen treffen. Hier würden entsprechende Luftreinigungsgeräte schon gute Dienste leisten.”

Infekte frühzeitig in der Atemluft erkennen – Das "Resp-Aer-Meter" machts möglich

Die grundlegende Frage ist, ob sich Ansteckungen vermeiden lassen, wenn man rechtzeitig infektiöse Personen identifizieren kann? Bislang werden corona-positiv Befunde durch Untersuchung der Abstriche der Schleimhäute ermittelt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die betreffende Person zum Zeitpunkt dieses Ergebnisses schon Mitmenschen angesteckt hat, ist nie auszuschließen. Wäre es demzufolge nicht viel effektiver, die potenziell infektiösen Personen schon so frühzeitig zu identifizieren, sodass die Gefahr der Verbreitung der Viren durch sie deutlich verringert werden kann?

Aerosol-Experte Dr. Scheuch, hat diese Frage nicht nur mit Ja beantwortet, sondern auch bereits eine Methode parat, die derzeit erfolgreich bei der MT Melsungen eingesetzt wird. Die Palas GmbH, ein führender Hersteller von hochpräzisen Geräten zur Generierung, Messung und Charakterisierung von Aerosolen, hat das sogenannte Resp-Aer-Meter entwickelt und unter Mitwirkung von Dr. Scheuch weiter angepasst. Der Name des Geräts in handlicher Größe, ausgestattet mit Touchscreen, steht für Respiratory Aerosol Meter. Damit lässt sich schnell per Atemtest, ähnlich dem “Pusten” bei der Autofahrer-Alkoholkontrolle, die Anzahl und Größe von Partikeln in der Atemluft bestimmen. Unter anderem in dem Größenbereich von Viren wie Covid-19. Werden dabei auffällig hohe Werte beobachtet, ist dies ein Hinweis darauf, dass die betreffende Person vermehrt Aerosole ausatmet und unter Umständen potentiell infektiös, also für Mitmenschen vermehrt ansteckend ist. Dies gilt nicht spezifisch für Corona, sondern kann auch auf weitere Atemwegsinfekte zurückzuführen sein.

Wie die MT diese innovative Methode nutzt

Bei der MT absolviert jeder Spieler vor jeder Zusammenkunft mit dem Team, ob Training oder Bundesligaspiel, mit dem Resp-Aer-Meter einen Atemtest. Wird dabei ein kritischer Wert ermittelt, begibt sich der betreffende Spieler ohne weiteren Kontakt zur Mannschaft zum PCR-Test, um per Laboruntersuchung abklären zu lassen, ober er corona-positiv oder -negativ ist. Auf diese Weise wird verhindert, dass er den Infekt, und sei es “nur” eine deftige Erkältung, auf seine Mitspieler überträgt.

“Der Einsatz des Resp-Aer-Meters bietet uns ein zusätzliches Sicherheitsmoment zu den obligatorischen Testungen per Abstrich, die wir gemäß der Ligabestimmungen auch weiterhin regelmäßig durchführen. Die Atemluftkontrolle ist eine wertvolle, weil vorbeugende Maßnahme, um eine Ansteckungsgefahr von vornherein zu minimieren. Ich werde deshalb diese innovative Methode in der Liga im Kreis der Clubgeschäftsführer vorstellen und von unseren positiven Erfahrungen berichten”, erklärt MT-Vorstand Axel Geerken.

Die Atemluftanalyse als weiterer Baustein im Kamf gegen die Pandemie

“Wir müssen derzeit noch einige Aufklärungsarbeit leisten. Letztes Jahr wurden unsere Anträge auf staatliche Forschungsgelder noch abschlägig beschieden. Inzwischen scheint man zusehends auch auf staatlicher Ebene die aerogene Übertragung anzuerkennen und vom Wert dieser Methode und des Gerätes überzeugt zu sein. Dies kann neben der Impfung, den Labortestungen und den ohnehin geltenden Hygeniemaßnahmen wie Abstandhalten und Maskentragen tatsächlich ein weiterer Baustein auf dem Weg zu einer erfolgreichen Pandemiebekämpfung sein”, ist Dr.-Ing. Frederik Weis, vom Entwicklerteam der Palas GmbH, sicher. Und Dr. Scheuch ergänzt: “Weil wir damit gerade die für die Pandemie hauptverantwortlichen Super-Spreader, oder -Emitter, wie wir Wissenschaftler sagen, schon sehr früh identifizieren können, nämlich noch bevor sie überhaupt zu Super-Spreadern werden.”

Hier geht's direkt zum YouTube-Video mit dem Interview von MT-Sprecher Bernd Kaiser mit Dr. Gerhard Scheuch, Dr. Frederik Weis und Axel Geerken.