Bremen - Am Wochenende werden Deutschlands vielversprechende Leichtathletik-Talente vom Jahrgang 2004 zum ersten Mal bundesweit auf sich aufmerksam machen, wenn sie in Bremen ihre nationalen U16-Meister ermitteln. Auf der Sportanlage Obervieland geht es neben dem Kampf um Gold, Silber und Bronze auch darum, die jungen Leichtathleten an den nationalen Leistungsvergleich heranzuführen und ihnen auch Wege für eine spätere Karriere im Leistungssport aufzuzeigen.

Deutschlands beste Nachwuchsathleten mussten sich mit guten Leistungen in gleich zwei Disziplinen für einen Start in Bremen empfehlen, denn damit sollte in der Wettkampf-Vorbereitung die Vielseitigkeit gefördert und eine zu frühe Spezialisierung vermieden werden. Neben der Mindestleistung in der Spezialdisziplin war in einem weiteren Disziplinblock eine Zusatzleistung für diese Titelkämpfe erforderlich. Die Melsunger Sprinterin Vivian Groppe erfüllte gleich zwei Normen in der Spezialdisziplin. Sie blieb zum einen sehr deutlich unter der vorgeschriebenen 100m-Norm von 12,80 Sekunden und konnte bereits im Mai auch die 300m-Norm von 42,50 Sekunden abhaken. Die Zusatzleistung erfüllte die 14-Jährige im Weitsprung mit 4,98 Meter.

Vivian, die 2017 mit einer 100m-Zeit von 14,60 Sekunden in die Leichtathletik-Saison startete und sich im Laufe des Jahres auf 13,79 verbessern konnte, glänzte ein Jahr später bereits mit 12,69 Sekunden und wurde auf Rang 26 der deutschen W14-Bestenliste geführt. In diesem Jahr präsentierte sich die Schülerin aus Beiseförth bei ihren letzten Auftritten in Gelnhausen, Siegburg und Koblenz sowohl über 100 als auch über 300 Meter in einer hervorragenden Form. In der Meldeliste für Bremen wird sie über 100 Meter von 42 Teilnehmerinnen mit 12,16 Sekunden ebenso wie über 300 Meter (40,32 Sek.), wo 21 Athletinnen die Norm schafften, jeweils auf Rang drei geführt.

Aber dass die Konkurrenz nicht schläft, konnte man an den Ergebnissen der Regionalmeisterschaften in Nord-, West-, Süd- und Mitteldeutschland ablesen. So gibt es seit dem letzten Wochenende im 100m-Sprint der WU16 eine dicht zusammengeballte Spitzengruppe.

Bei den Süddeutschen Meisterschaften in Koblenz trumpfte Laura Müller (Unterländer LG) mit 12,04 Sekunden mächtig auf. Die schnelle Sprinterin aus Württemberg strebt nach dieser eindrucksvollen Vorstellung eine Zeit unter 12 Sekunden in Bremen an. Auch die 12,08 Sekunden von Alina Vollert sind sehr hoch einschätzen. Mit dieser Spitzenzeit holte sich das Sprinttalent aus Chemnitz den mitteldeutschen Titel vor Sarah Ranis (DHfK Leipzig, 12,25). Ebenso muss man mit Lia Flotow aus Rostock rechnen, die im Vorjahr mit 12,16 die schnellste deutsche W14-Sprinterin war. Und was sind die 12,10 Sekunden der hessischen Meisterin Carolin Schlung wert, die bei den süddeutschen Meisterschaften hinter Vivian Groppe mit 12,20 Sekunden den dritten Platz belegt hatte?

Das größte Fragezeichen steht aber hinter dem derzeitigen Leistungsvermögen von Vivian, die sich auf diese Meisterschaften hervorragend vorbereitet hatte, wie ihre ständig steigende Form bewies.

Ihr Trainer traute ihr sogar in Bremen eine 100m-Zeit unter 12,10 Sekunden und somit eine Medaille zu. Aber sein Schützling flog unmittelbar nach Ferienbeginn in den Sommerurlaub. Leider ließ sich der Urlaubsplan nicht mehr verschieben, denn diese Reise wurde bereits Weihnachten gebucht. „Eine solche Leistungssteigerung unserer Tochter hatten wir nicht erwartet. Aber im nächsten Jahr werden wir unseren Urlaub nach dem Leichtathletik-Terminplan richten“, sagte Mutter Petra, die Vivian am Samstag nach Bremen begleiten und am Montag wieder mit ihr an den Urlaubsort zurückfliegen wird.

Ob die schnellste Sprinterin des Schwalm-Eder-Kreises am Wochenende noch in der Lage sein wird, zwei starke 100m-Läufe und zuvor noch ein schweres 300m-Rennen hintereinander durchzustehen, wird sich zeigen. Den Abschlusstest hat Vivian in Koblenz mit Bravour bestanden. Dort qualifizierte sie sich über den Vor- und Zwischenlauf locker für das Finale und belegte im Endlauf mit 12,16 Sekunden den zweiten Platz. Eine Stunde später wusste sie auch über 300 Meter zu überzeugen und sicherte sie nach 40,41 Sekunden die süddeutsche Vizemeisterschaft. Diese Leistungen würden in Bremen für das jeweilige Finale ausreichen, vielleicht sogar für mehr.

Zwischen dem 300m-Vorlauf und ihrem ersten 100m-Rennen liegen nur knapp dreißig Minuten, vielleicht sogar nur zehn, denn es kommt darauf an, für welchen Lauf die Melsunger Sprinthoffnung ausgelost wurde. „Ich werde mit ihr nach dem 300m-Zeitvorlauf reden, ob sie noch in der Lage ist, den 100m-Zeitvorlauf überhaupt noch zu absolvieren. Der 300m-Lauf kostet nämlich sehr viel Kraft, weil sie schon alles geben muss, um das 300m-Finale für den nächsten Tag zu erreichen. Das bedeutetet für Vivian eine besondere mentale Herausforderung“, sagte Alwin Wagner.

Maja Schorr beeindruckte über 300 Meter bei den süddeutschen U16-Meisterschaften mit einem ökonomischen Rennen und einem starken Schluss. Ihre 39,43 Sekunden bedeuteten nicht nur einen neuen Rekord für das Saarland, sondern auch eine neue deutsche Jahresbestzeit. Ihre läuferische Fähigkeit stempelt das Talent aus Saarbrücken zur absoluten Favoritin. Es ist nur schwer vorstellbar, dass eine andere U16-Läuferin vor ihr über die Ziellinie läuft. Aber auch Liv Strohbach aus dem Erzgebirge ist eine Zeit unter 40 Sekunden zuzutrauen. Bei den mitteldeutschen Meisterschaften am letzten Wochenende in Mittweida sicherte sie sich nach 40,26 Sekunden den Sieg vor Mariam Soumah (Leipzig, 40,43) und Nele Fiedler (Chemnitz, 40,61).

Ein weiterer Faktor für das 300m-Finale ist auch Amelie Wachsmuth (Bad Sooden-Allendorf), die beim Kampf um die Medaillen ebenfalls ein Wort mitreden möchte und deshalb ebenfalls sehr ernst genommen werden muss. Die süddeutsche U16-Meisterin über 80m-Hürden käme am zweiten Meisterschaftstag aber in eine Interessenkollision mit ihrer Spezialdisziplin, denn das 300m-Finale findet unmittelbar vor ihrem 80m-Hürdenendlauf statt.

Vivian Groppe muss sich vor diesen starken Läuferinnen nicht verstecken. Sie machte in den letzten Rennen immer eine hervorragende Figur und bewies bei den Titelkämpfen in diesem Jahr besondere Stärken. Und diese könnten in Bremen bei den Meisterschaftsrennen wichtig werden: Die Melsunger Gesamtschülerin ist schnell, kann spurten und vor allem auch kämpfen.


Text und Fotos: Alwin J. Wagner