Kassel - Die MT Melsungen hat es gegen den THW Kiel nicht geschafft, ihre Negativserie zu beenden. Beim 19:23 (9:14) vor 4.500 Zuschauern in der restlos ausverkauften Kasseler Rothenbach-Halle lieferten auf beiden Seiten die Abwehrreihen und vor allem die Torhüter ganz starke Arbeit ab.

Nebojsa Simic, zur Pause erst eingewechselt, kam am Ende auf eine Weltklasse-Quote von 50% gehaltener Bälle. Als Torschütze konnte nur Kiels Eric Johansson glänzen, der siebenmal traf. Auf Melsunger Seite verbuchte Aidenas Malasinskas vier verwandelte Strafwürfe und hatte damit in der internen Torschützenliste die Nase vorn.

Auch ohne die weiterhin verletzten Ivan Martinovic und Domagoj Pavlovic erwischte die MT, startend mit Julius Kühn, Elvar Örn Jonsson und Kai Häfner in der Aufbaureihe, einen guten Auftakt. Der Zeiger der Uhr hatte noch keine ganze Umdrehung absolviert, da war Niklas Landin von Jonsson bereits zum ersten Mal bezwungen. Es gab kein langsames Abtasten, beide Teams legten sofort voll los. Auch Kiel, bei denen Steffen Weinhold, Karl Wallinius und Sven Ehrig in der Aufstellung fehlten, machte aus seiner ersten Angriffsaktion den ersten Treffer: Magnus Landin war per Siebenmeter zum Ausgleich erfolgreich (2.).

Verschnaufpausen waren auch in der Folge eher selten. Die Intensität war hoch, sicher auch geschuldet der glänzenden Stimmung, die beide Fanlager in die proppenvolle Halle zauberten. Hatten viele vor der Partie den Status der Partie als „Spiel des Tages“ angesichts der Formprobleme beider Teams angezweifelt, sahen sich diese Kritiker schnell eines Besseren belehrt. Kiel erspielte sich zwar, insbesondere über starke Paraden von Niclas Landin, leichte Vorteile und durch Magnus Landin eine 4:2-Führung, doch die war mit Kai Häfners starkem Durchsetzen gegen zwei Abwehrspieler und dem 5:5 (11.) bereits wieder Geschichte.

Obwohl Adam Morawski, der in der Startformation den Vorzug gegenüber Nebojsa Simic erhalten hatte, seinem Gegenüber kaum nachstand, zog der THW abermals weg. Diesmal sogar gleich auf 5:8 (15.), weil insbesondere Eric Johansson bei Abprallern sofort zur Stelle war und zuverlässig traf. Melsungen leistete sich dagegen das Auslassen bester Chancen, wie beispielsweise den Lattentreffer vom völlig freien David Mandic nach starkem No-Look-Pass des seinerseits arg bedrängten Timo Kastening. Nach dem bereits dritten Fehlwurf des Linksaußen durfte Florian Drosten ran, blieb jedoch in seinem ersten Versuch ebenfalls zweiter Sieger gegen Niklas Landin.

Die Norddeutschen zogen aus der starken Leistung ihres Schlussmannes wesentlich mehr Selbstvertrauen als Melsungen. Und darauf aufbauend Stück um Stück weiter davon: 6:10 (18.) Johansson mit seinem bereits fünften Volltreffer, 7:12 (21.) Nikola Bilyk per Doppelpack und 8:14 (24.) Patrick Wienczek. Was Roberto Garcia Parrondo noch vor Halbzeit zu seiner zweiten Auszeit veranlasste. Die verfehlte ihre Wirkung nicht, vor allem die Abwehr wusste sich nach deutlichen Worten ihres Coaches zu steigern und machte alle Schotten dicht. Vorn allerdings blieb das Ausbauspiel fehleranfällig, bis auf einen verwandelten Siebenmeter von Aidenas Malasinskas blieben Erfolgserlebnisse aus, und Kiel nahm immerhin noch fünf Tore Vorsprung mit in die Pause.

Aus der die Zebras nicht ganz so schwungvoll zurückkehrten, wie sie das Match begonnen hatten. Im Gegenteil zeigte die MT kräftig Zähne, kam nach Niclas Ekbergs Strafwurf zum 9:15 durch zwei Treffer des eingewechselten Andre Gomes näher heran und hielt hinten weiter dicht. Weitere zweimal nach dem sofort nach Wiederbeginn gehaltenen Strafwurf von Niklas Landin war zudem der ebenfalls neu ins Spiel gekommene Nebojsa Simic zur Stelle. Doch mit dem dritten Versuch von Gomes, der diesmal glatte zwei Meter über der Latte im Fangnetz einschlug, endete der Melsunger Höhenflug recht abrupt. Alle Zuversicht war plötzlich dahin, Elvar Örn Jonsson leistete sich einen technischen Fehler und Gomes sah sich im vierten Anlauf von Niklas Landin entzaubert.

Die Angriffsflaute der MT verschärfte sich zunehmend, hinten begann es langsam zu bröckeln. Kiel musste nicht wirklich viel mehr tun, als mit der sicheren Führung im Rücken eher langsam zu spielen und geduldig auf seine Möglichkeiten zu warten. Sicherheit war Trumpf bei den Weiß-Schwarzen, mit jedem weiteren Gegentor sackten die Nordhessen ein kleines Stück weiter in sich zusammen. Harald Reinkind stellte auf 11:18 (41.), Domagoj Duvnjak packte schwere Geschütze aus und jagte das Leder zum 13:21 (46.) per Schlagwurf aus zehn Metern passgenau in den Winkel – die Vorentscheidung war gefallen.

Auch wenn Nikola Bilyk den Ball ganz untypisch ohne Bedrängnis glatt am Tor vorbei setzte, Simic spektakulär erst gegen Yannick Fraatz im Tempogegenstoß und anschließend gegen Hendrik Pekeler frei vom Kreis parierte sowie gegen Harald Reinkind Sieger blieb, es lief im Spiel nach vorn absolut nichts mehr zusammen. Mehr als sechs Minuten unterlag die Anzeigetafel keinerlei Veränderung, bis dann Timo Kastening endlich, nach elf Minuten ohne Feldtor der MT, den Bann zum 14:21 (52.) endlich brach.

Es sollte dennoch kein letztes Aufbäumen der MT mehr einleiten. Zwar war dem Team defensiv nicht allzu viel vorzuwerfen, und Nebojsa Simic lief gar noch zu ganz großer Form auf, doch fehlten in der Offensive einfach die zündenden Ideen oder ein lenkender Kopf, der die durchaus vorhandenen Lücken in Kiels Abwehr hätte erspähen – und nutzen – können. Selbst bei Ballgewinnen fehlte den Hausherren die Übersicht, lange Pässe nach vorn zielsicher an die eigenen Hände zu bringen. Und so trudelte die Partie zum Ende hin äußerst Arm an Toren aus, obwohl es durchaus Chancen gab, den rapide an Konzentration verlierenden Zebras noch dichter auf den Pelz zu rücken und die Lücke vielleicht doch noch zu schließen.


Stimmen zum Spiel:

Roberto Garcia Parrondo: Glückwunsch an Kiel zum Sieg und den zwei Punkten. Sie haben ein gutes Spiel gezeigt. Ich bin bei meinen Spielern zufrieden mit der Motivation und dem Einsatz, den sie abgeliefert haben. Wir waren unter der Woche gefordert, den zuletzt fehlenden Spirit wiederzufinden und haben ihn heute auch wieder gezeigt. Die erste Halbzeit haben wir zwar mit fünf verloren, aber unsere Abwehr war wirklich gut. Wir haben einige Bälle geblockt, dann aber leider die Abpraller an Kiel verloren. Vorn haben uns etwas die Nerven versagt. Wir hatten im Wurf eine viel zu geringe Effektivität, gerade von den Außenpositionen.

Filip Jicha: Ich bin froh, dass wir diese zwei Punkte hier gewonnen haben. Es war ein richtiger Fight und vor allem die Torhüter haben sich gut auszeichnen können. Den Grundstein zum Sieg haben wir nach etwa einer Viertelstunde gelegt, als wir Sieben-Gegen-Sechs mit hoher Effektivität gespielt haben. Das hat uns sehr geholfen. Jetzt kommen für alle die Wochen der Wahrheit und für uns geht es am Mittwoch schon wieder weiter. Deshalb habe ich der Mannschaft eben nur gesagt: Spiel abhaken.

Timo Kastening (MT Melsungen) …

… zur Frage, ob das heutige Spiel der Anfang eines Neustarts war: „So kurz nach dem Spiel ist das schwer zu beurteilen. Wir haben heute nicht wegen mangelnder Einstellung verloren. Das ist aber eine Grundtugend, deshalb sollte man darauf nie stolz sein. Landin hat heute ein überragendes Spiel gemacht, oder wir wurftechnisch ein sehr schlechtes, das kann man sich so aussuchen, wie man es braucht. Wir sind enttäuscht, aber wir können auf der Leistung aufbauen. Ich weiß nicht, wie viele technische Fehler es waren, aber das ist mir heute scheißegal. Wir haben gekämpft und alles gegeben. Es gibt noch viel Luft nach oben, aber der erste Schritt ist gemacht.“

… zur offensiven Taktik: „Natürlich wünscht man sich als Außen viele Außenwürfe. Wenn die Spielanlage darauf ausgelegt ist, Durchbrüche zu erzielen, dann ist das in Ordnung. Man muss dem System Zeit geben. Ich bin Außenspieler geworden, um Würfe zu bekommen, das steht außer Frage. Aber wenn man ein wenig optimistisch ist, dann werden auch wieder Außenwürfe kommen.“

Finn Lemke (MT Melsungen) …

… zu seinem Karriereende (in der Halbzeitpause): „Mir geht es mit der Entscheidung eigentlich ganz gut. Ich bin froh, dass damit jetzt Klarheit herrscht und ich weiß, dass es einfach nicht mehr weitergeht. Vorher war immer noch hoffen und bangen dabei, aber ich konnte das nicht mehr und musste sagen, wo es lang geht. Ich habe mich dazu entschieden, dass es keinen Sinn mehr macht und der Fuß es nicht mehr aushält. Da war die Entscheidung, nicht mehr weiterzuspielen naheliegend.“

… zum Zeitplan seiner Entscheidung (in der Halbzeitpause): „Ich habe es mir am Ende des Jahres eingestanden, dass ich mich damit wirklich auseinandersetzen muss. Die Prognose sah da schon nicht mehr ganz so gut aus. Da habe ich es noch weggewischt und gesagt, ich schaffe das. Leider war das nicht der Fall. Es ist nicht so tragisch, weil irgendwann kommt das Karriereende eh. Es ist ein bisschen früher als gedacht, aber das Leben geht immer weiter.“

… zu seinem Engagement im Jugendbereich (in der Halbzeitpause): „Ich habe die Zeit genutzt und mir das Ziel gesetzt, dem Handball etwas zurückzugeben. Ich wollte mich sozial engagieren und habe den Verein gefragt, wie ich helfen kann. Die Türen standen mir offen und dann habe ich mich in verschiedene Projekte eingelesen. Ich habe einen großen Spaß daran gefunden, Kinder für den Handball zu begeistern. Ich werde weiterhin eingesetzt und kann Jugendmannschaften trainieren. Nichts ist für mich schöner, als wenn Kinder nach einem Tor lachend aus der Halle gehen.“

Ivan Martinovic (MT Melsungen) zu seiner Verletzung (in der Halbzeitpause): „Jetzt geht es mir gut, das Schlimmste habe ich hinter mir. Schmerzen habe ich keine mehr, aber ich darf den Fuß noch nicht belasten. Drei Wochen bin ich noch auf Krücken unterwegs. Morgen starte ich mit der Reha und dann hoffe ich, dass ich schnellstmöglich zurückkommen kann.“

Michael Allendorf (Sportdirektor MT Melsungen) …

… zu seiner Rolle (vor dem Spiel): „Ich bin nicht allein verantwortlich, da ich immer noch einen Trainer an meiner Seite habe, mit dem ich das gemeinsam angehen darf. Es ist viel passiert, auch für mich. Vom Spieler bis zum Verantwortlichen für den Sport. Es war ein interessantes halbes Jahr.“

… zur Zusammenarbeit mit Trainer Parrondo (vor dem Spiel): „Ich bin mit Roberto Garcia Parrondo für die Mannschaft und deren Zukunft verantwortlich. Wir sind beide sehr motoviert in den nächsten Jahren solche Veränderungen anzustreben, dass wir möglichst erfolgreich sind. Wir wollen weiterhin mit dem Trainer zusammenarbeiten. In der Vergangenheit hat man gesehen, dass die Trainerwechsel nicht so erfolgreich waren. Roberto hat bewiesen, dass er etwas aufbauen kann und Mannschaften erfolgreich gestalten kann. Daran glauben wir.“

Niklas Landin (Torhüter THW Kiel) …

… zur Defensive: „Unsere Abwehr war besser als gegen Leipzig. Wir waren extrem kompakt und waren etwas defensiver. Das hat das gesamte Spiel geprägt, das sieht man an den wenigen Toren."

… zum Spiel: „Wir hatten viel gutzumachen. Es war nicht alles in Ordnung, da liegt noch viel Arbeit vor uns. Wir führen mit acht und gewinnen nur mit vier. Wir machen trotzdem noch viele Fehler, aber ich finde gut, dass wir heute die sieben gegen sechs Situationen im Angriff sehr diszipliniert gespielt haben.“

Filip Jicha (Trainer THW Kiel) …

… zur Aufarbeitung der Leipzig-Niederlage (vor dem Spiel): „Wir sind dem ganzen auf den Grund gegangen, alles andere wäre fatal. Wenn man das Spiel auseinandernimmt, sieht man schon deutliche Gründe, warum und weshalb wir verloren haben. Wichtig ist, dass wir in die Köpfe reinbekommen, dass es für keine Mannschaft in dieser Liga selbstverständlich ist zu gewinnen. Die Jungs setzen sich manchmal ein wenig unfair selbst unter Druck.“

… zum Meisterschaftskampf (vor dem Spiel): „Ich bin froh, dass die Liga so ist, weil es sehr spannend ist. Ich habe es erlebt, dass man das Geschehen über Jahre dominiert, aber es macht einfach Spaß, wenn es so eng ist. Das müssen wir den Jungs vermitteln. Wir haben alles selbst in der Hand. Wenn du im März noch alles selbst in der Hand hast, ist das super.“

… zu Steffen Weinhold (vor dem Spiel): „Er befindet sich in der Reha. Als Trainer checkst du natürlich, wie es ihm geht. Er ist auf dem Weg der Besserung.“

Sky Experte Martin Schwalb …

… zum Spiel: „Kiel hat sich den Vorsprung in der ersten Halbzeit erarbeitet und hatte Niklas Landin als Rückhalt. Sie waren einfach die bessere Mannschaft. Melsungen hat sich dagegen gewehrt, aber nie so, dass man das Gefühl hatte, dass sie den Bock umstoßen.“

… zum Meisterschaftskampf (vor dem Spiel): „Wenn du in der Handball-Bundesliga Meister werden willst, darfst du eigentlich nur selten stolpern. In dieser Saison darf man aber anscheinend stolpern, da es jede Mannschaft macht. Ich finde es unglaublich spannend. Das darf gerne so bleiben.“

… zum THW Kiel (vor dem Spiel): „Es läuft nicht ganz so rund, wie sie es sich vorstellen. Die Niederlage gegen Leipzig hat ihnen sehr wehgetan. Es war von der Konstellation ein sehr wichtiges Spiel, da in den nächsten Wochen Spitzenspiel auf Spitzenspiel folgt. Da willst du nicht vorher schon zwei Punkte abgeben und dich großem Druck aussetzen. Der THW ist gefordert.“


Statistik:

MT Melsungen: Morawski (6 Paraden / 14 Gegentore), Simic (9 P. / 9 G.); Kühn 1, Malasinskas 4/4, Casado 1, Ignatow, Moraes 2, Drosten, Jonsson 3, Arnarsson 1, Gomes 2, Kalarash, Häfner 2, Kastening 2, Mandic 1 - Trainer Roberto Garcia Parrondo.

THW Kiel: N. Landin (14 P. / 18 G.), Mrkva (bei einem Siebenmeter, 0 P. / 1 G.); Duvnjak 2, Sagosen, Reinkind 2, M. Landin 3/1, Overby, Wienczek 1, Ekberg 3/3, Pabst, Fraatz, Johansson 7, Dahmke, Zarabec, Bilyk 3, Pekeler 2 - Trainer Filip Jicha.

Schiedsrichter: Marcus Hurst (Frankfurt) / Mirko Krag (Frankfurt)

Spielaufsicht: Thorsten Zacharias

Zeitstrafen: 6 – 6 Minuten (Kühn 20:29, Häfner 32:07, Moraes 52:10 - Pekeler 19:00, Overby 50:43 54:27)

Strafwürfe: 5/4 – 5/4 (Kastening scheitert an N. Landin 16:55, M. Landin scheitert an Simic 30:31)

Zuschauer: 4.500 (ausverkauft) in der Rothenbach-Halle, Kassel