Melsungen/Hannover - Das erste Match nach der länderspielbedingten Ligapause führt Handball-Bundesligist MT Melsungen nach Niedersachsen. Dort werden die Nordhessen am Sonntag von der TSV Hannover-Burgdorf, genannt “Die Recken”, erwartet. Anwurf in der fast 10.000 Plätze bietenden TUI- Arena ist um 13:30 Uhr. Bislang sind rund 4.500 Tickets verkauft.

Hannover ist die erste Station für die MT Melsungen nach der 14-tägigen länderspielbedingten Pause der DKB Handball-Bundesliga. Kurz zuvor waren die Nordhessen mit zwei Siegen in Folge (Pokal in Wetzlar, Punktspiel gegen den Bergischen HC) wieder in die Erfolgsspur zurück gekehrt und hätte gern den Faden weiter gesponnen. Ob die Unterbrechung zu einer Rhythmusstörung führt, oder ob die Rotweissen dort anknüpfen können, wo sie vor zwei Wochen geendet haben, wird sich am Sonntag gegen Tabellennachbar TSV Hannover-Burgdorf (zwei Punkte hinter der MT) zeigen.

Spannungsgeladen ist der dortige Auftritt des Grimm-Teams auch noch aus einem anderen Grund: Es ist das erste Spiel ohne das etatmäßige Duo auf den beiden Halbpositionen. Mit Michael Müller (Mittelfußbruch) und Julius Kühn (Kreuzbandriss) fehlen zwei wichtige Säulen in Abwehr und Angriff. Zu allem Unglück fällt auch noch Timm Schneider aus. Der Allrounder quält sich mit einer Sehnenentzündung im Fuß. Das Torewerfen und die Anspiele müssen nun andere übernehmen. Die Frage lautet also, ob die derart dezimierte MT dennoch in der Lage ist, die Festung der “Recken“ zu stürmen.

“Klar, diese drei Ausfälle sind der Hammer und nur sehr schwer zu kompensieren. Aber wir werden es versuchen, indem wir die Aufgaben und auch die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen. Gefragt ist jetzt noch mehr, das Auftreten als Team, in dem alle noch enger zusammenrücken und sich gegenseitig unterstützen”, fordert Heiko Grimm.

Wie unter diesen personell äußerst widrigen Vorzeichen einzelne Positionen besetzt werden, war Hauptinhalt der Trainingsarbeit in dieser Woche. So werden sich Domagoj Pavlovic, Finn Lemke und Simon Birkefeldt die Aufgaben im linken und rechten Rückraum teilen, während Lasse Mikkelsen die Rolle des Denkers und Lenkers in der Mitte übernimmt. Philipp Müller, ein weiterer gelernter Rückraumspieler, ist eher als variabel auf verschiedenen Positionen einsetzbarer Defensivspezialist gefragt.

“Weil durch die Ausfälle die verbleibenden Rückraumspieler nun deutliche mehr Spielanteile erhalten, werden diese sich automatisch auch mehr zutrauen und an Sicherheit gewinnen. So schlimm das Fehlen von gleich drei Leistungsträgern für uns auch ist, aber diese Situation eröffnet anderen Spielern jetzt neue Chancen. Ich bin mir sicher, dass sich einige regelrecht freischwimmen”, blickt der MT-Coach zuversichtlich nach vorn. Und ergänzt: “Die öffentliche Erwartungshaltung dürfte nun etwas gesunken sein. Das sollten wir als Vorteil sehen. Wir können unter diesen Bedienungen in Hannover eigentlich nur gewinnen”.

Beim EHF Cup-Teilnehmer muss das Trainergespann Carlos Ortega und Iker Romero auf Rechtsaussen Torge Johannsen und Regisseur Pavel Atman verzichten. Erfreulich für die Gastgeber hingegen ist die Tatsache, dass mit den gestandenen Rückraumspielern Kai Häfner und Mait Patrail zwei bisherige Rekonvaleszenten wieder voll zur Verfügung stehen. Trotz der dezimiert anreisenden MT überwiegt bei den heimstarken “Recken” der Respekt vor dem Gegner: “Melsungen ist so gut besetzt, dass jetzt andere Spieler in den Vordergrund treten werden“, wird Ortega in der clubeigenen Vorschau zitiert. Seit dessen Amtsantritt im Sommer 2017 verloren die Niedersachsen übrigens erst ein einziges Heimspiel.

Angesichts des frühen Spieltermins – weil Sky das Match zum “Topspiel des 11. Spieltages” auserkoren hat, erfolgt der Anwurf bereits um 13:30 Uhr – reist die MT schon am Vortag nach Hannover. “Das ermöglicht eine stressfreiere Einstimmung auf das Spiel, was gerade jetzt für uns nicht unwesentlich ist”, so Grimm.

Zumindest mental unterstützt wird die Mannschaft übrigens auch von Michael Müller, der trotz Verletzung die Reise in die TUI Arena mitmacht. Der Routinier wird bei SKY dann in der Halbzeitpause die ersten 30 Minuten des Spiels analysieren.


Bisherige Ligavergleiche: 18 Spiele, davon 11 Siege für die MT, 5 für die TSV und 2 Remis

Letzte Saison:

01.04.2018, TSV Hannover-Burgdorf - MT Melsungen 26:23

05.10.2017, MT Melsungen - TSV Hannover-Burgdorf 31:29

Schiedsrichter in Hannover: Peter Behrens / Marc Fasthoff (Wuppertal / Neuss); DHB-Spielaufsicht: Nils Szuka


Verletzter Julius Kühn von Anteilnahme und Zuspruch überwältigt

Julius Kühn, Handball-Profi bei der MT Melsungen und dort genauso wie in der Nationalmannschaft eine der tragenden Säulen, zog sich – wie bereits berichtet – am Sonntag beim Länderspiel im Kosovo einen Kreuzbandriss zu. Damit fällt der Top-Torschütze mindestens Julius Kühn (Foto: Käsler).sechs Monate lang aus. Nächste Woche steht die unumgängliche Operation an. Der 25-jährige hat den Schock seiner Verletzung immer noch nicht ganz verarbeitet, wie er im Interview verrät.

Julius Kühn, 25 Jahre alt, Europameister, Bronzemedaillengewinner bei Olympia 2016, 50 Länderspiele, rund 200 Bundesligaeinsätze, fast 1000 Tore in der stärksten Liga: der Top-Shooter gehört im linken Rückraum, also auf der so genannten Königsposition, weltweit zu den Besten, die diese Sportart zu bieten hat. In gut zwei Monaten sollte er eigentlich der deutschen Auswahl bei der Heim-WM endlich wieder zu einem Höhenflug auf dem Weltparkett verhelfen. Es wäre seine zweite WM-Teilnahme.

Daraus wird nun nichts. Der wurfgewaltige Zweimetermann zog sich am Sonntag im Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft im Kosovo einen Kreuzbandriss zu und wird so zu einer mindestens sechsmonatigen Sportpause gezwungen. Derzeit kann er sich nicht einmal vorstellen, seine Nationalmannschaftskameraden bei der WM als Rekonvaleszent von der Tribüne aus zu unterstützen. Keine Frage, diese Verletzung hat den ansonsten vor Kraft strotzende Modellathleten bis ins Mark getroffen.


Seit der MRT-Untersuchung Anfang der Woche, hast Du Gewissheit über die Verletzung. Wie geht es Dir jetzt, Julius?

J. Kühn: Der Schock sitzt mir nach wie vor in den Knochen, ich habe das alles noch nicht richtig verarbeitet, bin immer noch sprachlos. Inzwischen ist aber wenigstens klar, wie es in den nächsten Tagen weitergeht, der Operationstermin steht fest.


Bevor wir dazu kommen, schildere doch bitte zunächst die Situation beim Spiel im Kosovo rund um Verletzung.

J. Kühn: Es waren erst wenige Minuten in der zweiten Halbzeit gespielt, ich machte aus einer Zweikampfsituation heraus einen Sprungwurf. Beim Kontakt mit dem gegnerischen Abwehrspieler stürzten wir beide und dabei verdrehte ich mir das Knie. Schon beim Auftreffen auf den Boden habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Kurios aber war, dass ich kaum Schmerzen hatte. Und deshalb wollte ich eigentlich auch weiterspielen. Doch unsere Mediziner holten mich vom Feld und gaben mir relativ schnell eine Art Vorwarnung mit auf den Weg – verbunden mit dem Wunsch, sich geirrt zu haben. Die MRT-Untersuchung am Montag bei MT-Mannschaftsarzt Dr. Rauch in Kassel brachte dann aber leider die traurige Gewissheit, dass es sich um einen Kreuzbandriss handelt und eine Operation unumgänglich ist. Mit diesem Ergebnis habe ich nach der von mir zuerst als harmlos eingestuften Situation nie und nimmer gerechnet. Der Schock war für mich umso größer.


Nachdem wir am Montag berichtet haben, dass die OP bereits am Folgetag in Kassel stattfinden soll, kam aber nochmal Bewegung in die Angelegenheit. Nun begibst Du dich nächste Woche nach Straubing.

J. Kühn: Ja, das stimmt. Ich habe Anfang der Woche mit vielen Spielern gesprochen, mit aktuellen und ehemaligen Mannschaftskameraden aus der Bundesliga und der Nationalmannschaft, die auch schon diese Verletzung hatten und sehr gute Erfahrungen mit Dr. Eichhorn, selbst ehemaliger Bundesliga-Handballer, gemacht haben. Er genießt vor allem unter Spitzensportlern unterschiedlichster Disziplinen einen hervorragenden Ruf und gilt als ein weit über Deutschland hinaus anerkannter Spezialist. Meine persönliche Entscheidung hat übrigens auch unser MT-Arzt Dr. Rauch, ebenfalls ein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet, nachvollziehen können. Am Montag habe ich nun ein Beratungsgespräch in Regensburg und am Dienstag erfolgt in Straubing die Operation.


Wie geht es dann weiter?

J. Kühn: Je nach Verlauf der Operation entscheidet der Arzt, wann mit ersten Übungen begonnen werden kann. Die entsprechenden Reha-Maßnahmen absolviere ich dann am Standort meines Vereins. Die MT, Axel Geerken und Heiko Grimm, haben mir gegenüber übrigens deutlich gemacht, dass sie mir alle Zeit einräumen, die notwendig ist, um wieder fit zu werden. Es tut sehr gut, zu wissen, dass einen der Verein nicht unter Druck setzt. Den macht man sich selber schließlich schon genug.


Am 10 Januar wird in Berlin das Eröffnungsspiel der 26. Handballweltmeisterschaft angepfiffen. Dann werden in der wohl ausverkauften Mercedes-Benz Arena 13.000 Fans die deutsche Mannschaft nach vorne peitschen. Wird Julius Kühn wenigstens auf der Tribüne mitfiebern und anfeuern?

J. Kühn: Das ist für mich jetzt ganz weit weg gerückt. Stand Heute würde ich sagen: Nein. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ich es übers Herz bringe, nur als Zaungast dabei zu sein. Derzeit habe ich einfach andere Dinge im Kopf. Wie das in zwei Monaten aussieht, vermag ich in diesem Moment nicht zu sagen.


Du weißt sicher auch selbst um Deine Qualitäten als Spieler. Wie schätzt Du die Effekte ein, die sich in der DHB-Auswahl und im MT-Team durch Deinen Ausfall ergeben?

J. Kühn: Als ich den Bundetrainer über das Ergebnis meiner MRT-Untersuchung informiert habe, zeigte er sich sehr bestürzt. Gleiches gilt für meinen Vereinstrainer Heiko Grimm. Aber es gibt in beiden Mannschaften Spieler, die auch sehr gut diese Position ausfüllen können. Bei der MT ist es derzeit leider unglücklich, dass mit Michael Müller auch noch der etatmäßige Halbrechte ausfällt. Aber Fakt ist, beide Mannschaften haben weiterhin genügend Qualität, um den Ausfall kompensieren zu können. Es sollte ja schließlich nie alles von einem Einzelnen abhängen.


Deine Verletzung hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Wie empfindest Du diese mediale Beachtung?

J. Kühn: Mir ist es viel wichtiger, wie mir die begegnen, die ich kenne und mit denen ich zu tun habe. Ich habe in den letzten Tagen sehr viele Anrufe und Nachrichten von Menschen erhalten, denen meine Verletzung leid tut und die mir Zuspruch geben. Das ist absolut überwältigend. Damit hätte ich nie gerechnet. Ich freue mich sehr über diese Wertschätzung und bedanke mich herzlich dafür. Gleichzeitig bitte ich um Verständnis, dass ich mir in den nächsten Tagen viel Ruhe wünsche und deshalb nicht unbedingt erreichbar sein werde.


Vielen Dank für das Gespräch, Julius – wir wünschen Dir eine erfolgreiche Operation und gute Genesung!